23.01.2024

Briefe



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ID: 20705
Geschrieben am: Freitag 06.03.1863
 

Paris d. 6. März 1863.
Mein lieber Freund.
Ich schrieb Ihnen so lange nicht, und doch war es so gar nicht meine Schuld, denn, entweder ich war von außen in Anspruch genommen oder so angegriffen, daß ich nicht im Stande war zu schreiben. Ich hoffte diese ganze Zeit wieder auf Brief von Ihnen, wartete aber vergebens, obgleich Sie mir in Ihrem letzten Briefe versprachen, Sie wollten mir recht oft Briefe nach Paris schicken. Ihren letzten Brief erhielt ich in Lyon, nachdem ich vorher hier vergeblichs [sic] darauf gehofft hatte. Es hat mir doch recht weh gethan, daß Sie mich so lange warten ließen – ich schrieb Ihnen nach Basel5 (nicht leicht war es, Zeit zu finden, gerade in den ersten Tagen hier, nur, weil ich dachte Sie durch ein lebendiges Zeichen meines Gedenkens, gerade dort zu erfreuen, Sie aber fanden zu keinem Worte – Lust. Das macht mich so traurig, daß ich alle Energie zusammen nehmen mußte, um den Ansprüchen von außen an mich zu genügen. Müßten Sie mein Leben einmal eine Zeit lang durchmachen, Sie begriffen sehr bald, obgleich es Ihnen jetzt leicht scheinen mag, wie oft mir der Zuspruch eines geliebten Freundes nöthig wäre; ein liebes, inniges Wort kann mich Tage lang froher stimmen, das giebt mir Kraft und Muth! Doch, das wissen Sie ja, und Ihren lieben Brief habe ich ja auch erhalten, namentlich war ich froh, als der zweite kam, denn, der erste klang so trübe, als ob Ihnen nichts in der Welt mehr lieb wäre; im zweiten aber klang ein milderer Ton, und das war gut! –
In Lyon war ich so nahe Genf, Sie glauben nicht, wie es mich dahin zog, dazu das herrliche Wetter. Ich glaube aber, dann hätte ich den Weg nicht mehr nach Paris zurück gefunden, sondern – wäre immer weiter bis zur lieben deutschen Schweiz zu dem lieben Freunde endlich gezogen, und was wäre dann geworden? – ich mußte wieder zurück, so sehr ich auch diese Plan immer wieder vor mir aufblätterte. Man sieht schon von Lyon aus die Alpen, den Mont-Blanc, kurz aller Sehnsucht zum Trotz, bin ich jetzt wieder hier und halte schwer aus, denn Vieles ekelt mich förmlich an jetzt, wo ich es genau kenne, dazu ist mit Concerten die Sache gar nichts.
Ich habe Beifall genug gehabt, aber noch gar nichts verdient, außer in Lyon, wo ich 2 brillante Concerte gab. Dort hatte ich auch die Freude das Publikum mit Beethoven, Schumann etc. bis zum Enthusiasmuß zu bringen – bisher hatte noch nie Jemand es noch gewagt eine Sonate von Beethoven zu spielen. Aber nun sitze ich seit Anfang dieser Woche wieder hier, lebe das angestrengteste Leben, wobei ich mich höchst angegriffen fühle, ohne jeden pecuniären Erfolg, muß aber aushalten, da ich einmal hergegangen, bis mein 2tes Concert am 13ten und eines mit Mdme Szarvardy am 16.ten, worin ich mit ihr spielen soll, vorüber. Dann aber gehe ich noch einmal für ein Engagement nach Lyon u von da nach Brüssel, um noch Etwas zu verdienen, damit ich dem Sommer ruhiger entgegen sehen kann. Ich hatte dringende Aufforderung nach London, auch Liverpool, aber ich habe abgeschrieben – ich bringe nicht mehr genug moralische Kraft in mir auf, um nach Paris noch England durchzumachen.
Sie können sich keinen Begriff machen von dem Concert-Chaos hier; – die Künstler sind hier nicht besser als in London, eben solche Handwerker, nur hat alles einen äußerlich gefälligen Anstrich, was für den Anfang besticht. Ich glaube kaum, daß ich jemals auf längere Zeit hierher gehe, lieber trockenes Brot in Deutschland aber ein frisches Künstler-Herz dabei erhalten. Meinen Sie nicht auch, lieber Freund? – In meinem ersten Concert habe ich Sie recht herbei gewünscht, denn ich spielte so, daß ich jetzt zufrieden, froh darüber war, die Var. serieuse gelangen mir wie nie. – es war wohl zur selben Zeit, als Sie in Basel auf mein Wohl tranken!! Madame Viardot sang: ich grolle nicht – und Frühlingsnacht überraschend schön, mußte beide Lieder wiederholen, so fremd ihr das deutsche (Genie) Gemüth auch ist, ihr Genie erfaßt Alles – ein bewunderungswürdiger Geist steckt in der Frau – ich möchte was davon haben! – Von Herrn Rieter erhielt ich einen langen recht freundlichen Brief, und möchte ich Sie bitten, daß Sie ihm meinen Dank einstweilen sagten, ich weiß nicht, ob ich so bald zum Antworten komme.
Das Requiem will ich diesen Sommer für ihn zurecht machen, was glauben Sie wohl, ob er meines Bruders Psalm, der in Cöln so gut gefallen, vielleicht in Verlag nähme? ich glaube, er würde hier und da wohl aufgeführt werden. Mein Bruder schreibt mir gestern, er möchte das Stück so gern herausgeben – er brauche so nöthig etwas Geld für den Sommer (unter uns dieses) Es ist doch ein Elend, daß die Componisten alle so arme Teufel sind! – Wie steht es denn mit dem Klems? – wird er Ihnen noch nicht lieber? – es ist doch das schwierigste Geschäft für einen Musiker ein Instrument auszusuchen. –
Jetzt habe ich wieder so einen Auftrag bei Erards, probiere jeden Tag andere Flügel und komme nicht zum Entschluß.
Von Kunstgenüssen kann ich Ihnen noch nicht viel berichten, aber neulich hatte ich ein recht ungetrübtes Vergnügen an einer kleinen Of¬fenbachschen Operette im Buffotheater. Reizend frische Musik, gewandt instrumentiert, mit feinen geistreichen Zügen oft! dann, welch ein Ensemble, eine Lebendigkeit, Ineinandergreifen, wie die schwerfälligen Deutschen es nie zu Stande brächten. Zudem hat mich noch eine Sängerin Mdme. Ugalde, die ganz heruntergekommen (von der großen Oper bis zu diesem Buffotheater) so interessiert, daß ich Tage lang immer an sie denken mußte. Trotz der gräßlichen Uebertreibung oft hat sie Momente, die nur ein Genie haben kann, einen Liebreiz und Wärme, daß es hinreißend ist.
Von Joachim’s Verlobung hörten Sie wohl schon. Sie können denken, wie tief mich diese Nachricht bewegt hat – gilt es doch das Glück eines geliebten, verehrten Menschen. Als ich es zuerst las in seinem Briefe, erfaßte mich eine große Bangigkeit, doch schrieb er so voll des Glück’s, daß die Freude schließlich siegte. Leider kenne ich die Braut wenig, sie scheint aber ein liebes Mädchen und ist musicalisch sehr begabt. Der Faust in Hannover soll nun am 15ten stattfinden – gehen Sie noch hin dazu? – schreiben Sie es mir doch ja, damit ich mich mit Ihnen freuen kann.
Bitte, sagen Sie mir doch ob Sie einen Artikel über Roberts Messe von Bagge gelesen? Brahms schreibt mir neulich, der habe einen elenden Quatsch darüber losgelassen. Ist das so? – ich wüßte es gern genau aus einem besonderen Grunde, den ich Ihnen dann sage.
Mit meiner Schutzbefohlenen habe ich endlose Sorge, nach vielen Laufereien habe ich endlich ein Unterkommen für sie gefunden, nun geht es aber dem Vater alles viel zu langsam mit ihrem succes. Nach seiner Ansicht müßte sie eigentlich schon längst bei der Kaiserin32 gesungen haben, alle Blätter müßten schon von ihr sprechen, ich müßte mir ihr zu allen Recensenten gegangen sein, ich, die ich diese [sic] Leute eher aus dem Wege gehe! Denken Sie bei alledem was ich für mich zu thun, noch fortwährend diese Sorge, und ein ewiges Bombardement von Briefen, was alles geschehen müßte! Dies aber unter uns, – sie wird nun in meinem 2ten Concert und in dem der Szarvardy singen. Ich schicke heute eine große gelbe Affische an den Vater zur Beruhigung.
Ich habe da einen recht dummen Streich gemacht, was mir aber oft passiert, weil ich so schwer etwas abschlagen kann, und nun gar meinem Vater. Mad Viardot sehe ich leider recht selten, sie verheirathet diese Tage ihre Tochter, und beschäftigt sie nicht die Heirath allein, sondern, denken Sie wie merkwürdig, die Taufe aller Kinder.
Die Tochter war nicht getauft, kann aber nicht getraut werden ohne das, und so geschieht jetzt alles in einem. Das ist nun auch so auf französische Weise wie ein Geschäft abgemacht worden. Die Tochter ist 20 Jahr, da muß sie heirathen. Jetzt werden ihr einige Männer vorgestellt, sie wählt einen, weil sie auch einsieht, daß sie heirathen muß. Drei Tage gesehen, verlobt, und 3 Wochen darauf die Hochzeit. Als Mdme Viardot es mir erst sagte, war ich natürlich erschrocken, daß ich Vorstellungen dagegen zu machen anfing – das war mal dumm von mir, aber ich konnte nicht anders, denn ich war ganz entsetzt, wie man so über ein Kind verfügt! Da sieht man nun im glücklichen Fall eine gleichgültige Ehe voraus, denn er scheint ihr geistig untergeordnet, und man nichts dagegen thun kann. – Haben Sie denn meinen langen Brief vom 7ten Febr. erhalten? Ich hatte Ihnen einen Zweig von Roberts Grab beigelegt; in Ihrem Brief fand ich nichts darauf bezügliche und bekam Sorge, daß er verloren sein könnte. Werde ich nun bald von Ihnen hören? – Adr. Hôtel de Baviere, rue de Conservatoire.
Jetzt ein Lebewohl, mein Lieber, und innigsten Gruß von
Ihrer Clara.




  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Paris
  Empfänger: Kirchner, Theodor (821)
  Empfangsort: Zürich
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 10
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Theodor Kirchner, Alfred Volkland und anderen Korrespondenten in der Schweiz / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Annegret Rosenmüller / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-021-6
187-193

  Standort/Quelle:*) Autograph verschollen. Abschrift in A-Wgm: Bibliothek Renate und Kurt Hofmann, Briefe von Clara Schumann an Theodor Kirchner, 1. Kopie (Reinhardt), Bd. 2, S. 52–61, Nr. 38.
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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