23.01.2024

Briefe



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ID: 20709
Geschrieben am: Dienstag 28.04.1863 bis: 29.04.1863
 

Saarbrücken den 28 April 1863.
Könnte ich Ihnen, mein theurer Freund, so danken, wie Sie mich erfreut – Ihre lieben Worte nach der neuen Heimath klangen so wohlthuend in meine Seele hinein, wohl glaube ich es, daß Niemand mir Besseres wün¬schen kann als Sie, aber ich denke, auch Sie müssen mir glauben, wie so recht von Herzen lieb ich Sie habe, und sich in Zukunft nicht wundern, wenn ich Ihnen noch gut bin. Glauben Sie denn nicht, daß wahre Freundschaft nur immer fester, inniger wird? Ich fühle es so, möchten auch Sie es! Sie wollten wohl durch Ihre freundliche Ueberraschung des reizenden Bildchen, meine Sehnsucht wecken? Dessen bedarf es aber nicht, wie oft denke ich mir Sie vor aller Herrlichkeit stehend und dann wohl auch meiner gedenkend, – wie gern stünde ich in solch einem Augenblick mal plötzlich an Ihrer Seite! – Ich trage mich schon lange mit dem Gedanken herum, daß wir diesen Sommer, so gegen den Herbst hin, wieder eine Tour in’s Berner Oberland machen – was meinen Sie dazu? – Ich kom¬me nun 8 Tage später nach Baden, als ich in Trier war ließen mich die Luxenburger [sic] und Saarbrückner nicht los, ich sollte auch da Concert geben. Jetzt ist es, Gott sei Dank, überstanden, es war aber auch hohe Zeit, daß ich schloß, denn ich fühlte mich in den letzten Concerten geistig schlaff; es war mir immer, als ob der Seele ihre Flügel hingen, sich nicht mehr aufschwingen konnte – ein unglückliches Gefühl ist das! Ich werde nun einige Wochen gar nicht musicieren, und dann frisch wieder aufleben, wenn Sie kommen.
Wie freue ich mich dann auf unser musicieren, auch disputieren zuweilen! – im Grunde verstehen wir uns musicalisch – und ich denke, auch anders – sehr gut, nicht wahr, und das ist doch gar so schön! –
bisweilen, der hat das Herz auf den [sic] rechten Fleck, bis plötzlich eine Aeußerung mich so ganz durchnüchtert, ich dann aber für den auch keinen Ton mehr finde. Man sollte wohl etwas nachsichtiger sein, und wird es auch mit dem Alter, doch nur äußerlich, das Innere zieht sich doch mehr und mehr in sich zurück und erschließt sich nur Wenigen, den Gleichgesinnten, denen dann aber mit ganzer Seele. Sie können sich kaum denken wie sehr zurück ich in Trier und Luxenburg [sic] das Publikum fand, schlimmer kann es kaum in französischen Provinzstädten sein. Ein Glück ist es, daß man doch Einen oder den Andern fast überall findet, der wirklich genießt, wenn auch nicht versteht. So fanden sich in Trier einige Enthusiasten und immer, welche mich wahrhaft auf den Händen tru¬gen. Ein solches Uebermaaß von Entzücken kann aber endlich förmlich niederdrücken, dann kommt eine entsetzliche Bescheidenheit über mich, und ich schäme mich all das anzunehmen, was die Leute, so wie aus einem Füllhorn über mich schütten an Lob.
In Saarbrücken traf ich Gernsheim (ich bin nämlich augenblicklich d. 29 in Mainz[)], der mich bat Sie zu grüßen. Er hat mir Compositionen von sich vorgespielt – recht armselig kamen sie mir doch vor, welch ein Melodienmangel, hier u da einmal eine leidlich hübsche Stelle, an die man sich dann förmlich festklammert; damit man etwas loben kann. Dazu hat der Mensch die Instrumente (es war Clavierquartett) gebrüllt, daß ich ganz entsetzt war. – ich mußte immer an Menagerie denken. Er war aber auch recht gefällig gegen mich, und gab ich mir alle Mühe meine Abneigung gegen ihn zu bekämpfen. Er ist, abgesehen davon, daß er im Aeußern das Judenthum vertritt wie Einer, so roh ungebildet, dabei behaftet mit einem so schallenden Organ daß recht viel menschliches Wohlwollen dazu gehört mit ihm mehr als nöthig zu verkehren. Er hat nach Levy einen schweren Stand gehabt, denn der war sehr beliebt in Saarbrücken, und Gernsheim ist es, wie ich höre, garnicht – das veranlaßte mich doppelt freundlich gegen ihn zu sein, weil er mich dauerte. Ich spielte auch so gar einmal 4 händig mit ihm, das war, als ich eben Ihren Brief bekam, der mich ganz froh machte. Wie sehr fatal ist es doch, daß gerade jetzt, wo Sie sich so nach u nach der Organistenstelle entziehen möchten, Lorenz zurückgetreten. Wie ist dies so plötzlich gekommen? nun, Ihr Züricher Dreiklang wird ein guter Ersatz für die Winterthurer, sie verdienen aber nichts Besseres, besonders nach der Charfreitag-Affaire. Das war doch abscheulich, unbegreiflich, dann lassen sie sich das Züricher Orchester kommen und fordern Sie nicht einmal auf dasselbe zu dirigieren! Ich schrieb neulich einmal sehr entrüstet an Rieter darüber – er schwieg. Die Welt ist aber voll solcher Ungerechtigkeiten, wahrhaftig, gäbe es nicht noch einige schöne Menschen, und Thäler und Berge, man möchte je eher, je lieber hinaus! –
Diesen Nachmittag reise ich nach Frankfurt, habe da Einiges zu besorgen, Sonnabend gehe ich nach Carlsruhe in Schulangelegenheiten, und Sonntag Morgen, wenn Sie an der Orgel sitzen, da senden Sie mir einige recht schöne Klänge in mein Häuschen, ich will auch recht an Sie denken.
Leben Sie wohl, mein guter, lieber Freund. Erfreuen Sie bald wieder
Ihre Clara.
Baden-Unterbeuren No 14.



  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Saarbrücken
  Empfänger: Kirchner, Theodor (821)
  Empfangsort: Zürich
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 10
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Theodor Kirchner, Alfred Volkland und anderen Korrespondenten in der Schweiz / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Annegret Rosenmüller / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-021-6
201-204

  Standort/Quelle:*) Autograph verschollen. Abschrift in A-Wgm: Bibliothek Renate und Kurt Hofmann, Briefe von Clara Schumann an Theodor Kirchner, 1. Kopie (Reinhardt), Bd. 2, S. 74–79, Nr. 43.
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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