23.01.2024

Briefe



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ID: 20716
Geschrieben am: Donnerstag 21.07.1864
 

Baden-Baden den 21. Juli 1864.
Nicht länger kann ich diese Zeilen zurückhalten, denn immer klarer emp¬finde ich ihre Notwendigkeit und zwar, ehe wir uns wieder sehen.
Es kann zwischen uns so nicht bleiben wie es ist, denn Ihre Handlungsweise gegen mich entspricht dem vertraulichen Verhältnisse, wie es seit einem Jahre bestand, durchaus nicht. Ich gestattete Ihnen dieses auf Ihre dringenden Bitten, nachdem Sie mir zu vielen Malen betheuerten, daß ich Ihre liebste, einzigste Freundin sei, daß nur der Verkehr mit mir in innigster, vertrauter Freundschaft Sie beglücken, Ihnen das Leben noch wieder lieber machen und Sie zu neuer That begeistern könne, kurz, ich mußte glauben, daß, indem ich Ihnen diese volle ungewöhnliche Freundschaft schenkte, ich nicht allein in Ihnen einen Freund für’s Leben gefunden, sondern Ihrem Lebenslauf dadurch eine schöne anregende Richtung verleihen würde. – wie diese Hoffnung mich beglückte, müssen Sie wissen – der letzt vergangene Winter, Ihr letztes Hiersein und schließlich Ihr Schweigen seitdem mußte mich überzeugen, daß niemals rechte, warme, wahre Freundschaft, die Einem Lebensbedingung wird, Sie beseelte, sondern nur eine Schwärmerei sich Ihrer bemächtigt hatte, die ja in sich schon selten Halt hat. Was Sie mir dadurch angethan, das will ich nicht weiter berühren, in ruhigen Stunden wird es Ihnen Ihr eigenes Gewissen sagen und dann müssen Sie fühlen nach welchem Kampfe ich mich zu dem heutigen Schritte, diesen Zeilen, entschloß. Nach all diesem werden Sie einsehen, daß zwischen uns nur noch das frühere Freundschaftsverhältnis bestehen kann.
Meine Teilnahme für Sie wird immer dieselbe bleiben, und werden Sie mich immer bereit finden Ihnen zu nützen wo ich es kann. Noch bitte ich Sie mir die seit vorigen Sommer an Sie gerichteten Briefe recommandirt zurückzusenden, wogegen Sie auch die Ihrigen zurückerhalten, wenn Sie es wünschen.
Ich bin heute nicht in der Stimmung Ihnen andere Mittheilungen zu machen, von Stockhausen werden Sie hören oder gehört haben, daß ich meine Reise nach St Moritz bis Anfang August verschoben habe.
So leben Sie denn wohl, möge Ihnen manchmal einfallen, daß Niemand es jemals besser u treuer mit Ihnen gemeint hat als
Ihre Clara Schumann.¬










  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Baden-Baden
  Empfänger: Kirchner, Theodor (821)
  Empfangsort: Zürich
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 10
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Theodor Kirchner, Alfred Volkland und anderen Korrespondenten in der Schweiz / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Annegret Rosenmüller / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-021-6
223f.

  Standort/Quelle:*) Autograph verschollen. Abschrift in A-Wgm: Bibliothek Renate und Kurt Hofmann, Briefe von Clara Schumann an Theodor Kirchner, 1. Kopie (Reinhardt), Bd. 2, S. 106–108, Nr. 50.
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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