23.01.2024

Briefe



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ID: 20858
Geschrieben am: Sonntag 03.04.1864 bis: 04.04.1864
 

Liebste Clara,
Schönsten Dank für Deinen viel erzählenden Brief der leider immer weitern Weg zu mir hat.
Betrübender ist freilich wohl daß die Aussicht auf den nächsten immer weiter, bald unabsehbar weit wird.
Indeß, das merkt nur, wer das ruhige Leben lebt, wie ich,
Jetzt wird denn auch <hoffentlich> das erste u. wohl mehrere große Concerte vorübergegangen sein u. hoffentlich aufs Allerschönste. Daß Dir auch in Liv- u. Russland so schöne Sympathie für die Werke Deines Mannes entgegen kommt wundert mich gar nicht.
|2| Dein Mann hätte in seinem 50ten Jahre schon erleben können wie seine schönen Tönen [sic] in Aller Herzen klingen.
Oder ob es anders wäre wenn er noch lebte? Ob der Widerspruchsgeist des Menschen durchaus den Tod hätte abgewartet? Hier ist niemand populärer u. das wohl im schönsten Sinn.
Von Rubinstein hörte ich gern viel; ich denke u. verspreche mir vielleicht so gut mehr von Menschen, als man es vom Componisten that, denn von diesem ist wohl nicht grade mehr Größeres zu hoffen.
Den Herbst spielte er hier ein Clavier-Quartett, das außerordentlich gerühmt wurde, hast Du es gehört? Doch er schreibt so viel daß das Quartett wohl schon antiquiert ist.
Ich habe jetzt mich leider zu entschließen |3| ob ich die Akademie für nächstes Jahr behalten will; könnt’s doch ein Andrer für mich!
In unserm 3ten Concert ging das Weihnacht-Oratorium (Theil 1, 2, 4, 6.) doch ganz trefflich. Ich u. der Chor mindestens hatten unsre Freude. Der hiesigen Kritik gegenüber hat ein Bach’sches Werk schwereren Stand.
Hanslick mag in den 8 Tagen Höllenpein gelitten haben, da 2 Tagen [sic] nachher von Herbeck die Johannis-Passion aufgeführt wurde.
Leider haben wir am 17ten April noch ein Concert u. leider hatte ich Gründe auf den Vorschlag des Comités einzugehen lauter „Brahms“ zu geben!
Ave Maria, Marien- u. andere Chorlieder eine Motette, Solo-Quartette, das Streich-Sextett u. schließlich mit Carl Tausig m. Sonate für 2 Claviere.
|4| Hierüber wirst Du Dich am meisten wundern, denn Du wirst von Tausig einen horrenden Begriff haben. Das ist aber ein merkwürdiger kleiner Kerl u. ein ganz besondere<s>r Klavierspieler, der sich nebenbei, so weit es einem Menschen nur möglich ist, stets zu seinem Vortheil verändert.
Rubinsteinsche u. Chopinsche u. natürlich namentlich Lisztsche Sachen spielt er oft wunderschön. Er hatte mich für seine Concerte schon um die Sonate gebeten u. jetzt wird’s so passiren.
Bei Härtel erscheinen einige geistliche Chorsachen u. 3 Solo-Quartette (Wechsellied zum Tanze). Sie sind von einer erstaunlichen Liebenswürdigkeit u. verlangen was es nur giebt! Haben auch vorher von selbst an mich geschrieben u. Neues verlangt! Bei Rieter kommt nächstens mein Concert à 4 ms. Sehr leicht arrangirt, aber es mag trostlos zu |5| spielen sein, da der Klang so einförmig wird. Das Schlimmste für mich einstweilen ist der besagte Entschluß der gefaßt sein soll. Die Akademie hat mir freilich recht viel Freude gemacht, indeß ist einmal wieder Unangenehmes genug dabei.
Wie die Leute musikalisch sind, von Blatt singen, <machen> schön üben, ist ganz gut, aber das Leben ist zu unruhig hier, in der kurzen Saison kann weder ein Mensch noch ein Institut bestehen das nicht rasch mittaumelt sondern ruhig existiren möchte u. Genuß u. Bildung in sich suchen möchte. Das will gelebt sein, getanzt von einem Concert u. einer Ueberraschung zur andern.
Das Pecuniäre u. Künstlerische kommt auch dadurch in bedenkliche Lage daß kein recht vornehmer u. vornehm künstlerischer Mensch mit an der Spitze steht.
|6| Das Musikalische könnte ich recht gut u. genügend besorgen, aber wie es hier steht müßte ich ein Organisations-Talent besitzen das mir abgeht.
Von m. Leben sonst könnte ich nicht viel erzählen. Meine eigentlichen Freunde sind die Alten, leider kann sich immer mehr nur durch die Fantasie mein Herz ihrer freun. Hier findet sich Niemand, einen zu ersetzen.
– Das wurde Gestern Früh von den Wiener Freunden doch übel genommen u. ich von da ab nicht mehr zum Schreiben gelassen.
Einer kam nach dem Andern bis ich die Bude schloß u. mit dem Letzten ging.
Heute früh nun, will ich gestehen, liegt mir wieder das nächste Concert u. mein zu fassender Entschluß auf’s Unbequemste im Kopf. Wenn <ich> ┌jemand┐ Geld hätte, könnte er doch einmal viel besser entschließen u. nach Herzenslust thun u. lassen. Ohne das |7| ist man wirklich immer recht gefesselt.
Wie ich z. B. doch von Herzen gern jetzt bald (vorher will ich mir jedoch hier einige schöne Berge besehen) nach Hamburg ginge u. einige Abende in der alten Stube säße! Ebenso sehr jedoch zieht mich’s nach Baden wenn Du zurückkommst. Ich werde dreist versuchen was das Härtelsche Gold denn für Strapatzen aushalten kann!
Meine, für Chor gesetzten Volkslieder haben hier außerordentlich gefallen u. war Spina sehr gierig danach, da jedoch Rieter sehr darauf besteht u. ihm das Honorar ganz gleich ist, so kriegt er sie.
Für Dich habe ich das Schubert’sche Bild liegen das Du voriges Jahr bei mir gesehen hast. Ich habe es von einem hübschen Mädchen für Dich bekommen, mit der ich, weiß Gott, dummes Zeug gemacht hätte, wenn nicht zu Weihnachten Jemand sie rasch, zum Glück geangelt hätte.
|8| Das [sic] Stockhausen in Hbg. verlobt ist weißt Du natürlich schon u. wie gut er den Enthusiasmus der Hamburger zu wecken u. – aber auch auszubeuten versteht hast Du ja gesehen!
Den Meinen geht’s gut, meine Lieben macht’s nur ängstlich daß die Mutter gar alt wird, wer weiß wie bald mir ein tiefster Schmerz beschieden ist.
Schreibe mir recht bald u. viel von Dir u. von den Kindern, von denen ich so gern höre daß es <I> ihnen gut geht u. wo sie sich aufhalten.
In herzlichster Liebe
Dein Johannes
Eben kommt mir ein Brief von Dietrich, ich lege ihn Dir bei für den Fall daß Du vielleicht nicht so bald direkte Nachrichten hast.
Was soll man sagen u. hoffen? ohne Weiteres kann man wohl nicht in den schönen Osterjubel einstimmen. Die Handschrift sieht sonderbar verändert aus. Du schreibst ihm wohl auch?

  Absender: Brahms, Johannes (246)
Absendeort: Wien
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
Empfangsort: St. Petersburg
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
896-901

  Standort/Quelle:*) D-B: Mus. Nachl. K. Schumann 7,133
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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