Myliusstrasse, 32,
Frankfurt a. M.
D. 3ten Dec. 91
Liebe Frau Fellinger,
haben Sie Dank für Ihren lieben theilnahmvollen Brief. – Fast Alles im Zustande Ihrer Mutter ähnelt den Erscheinungen von denen die Meine heimgesucht wird. – Ruhe hat sie jetzt u. hatte sie auch äußerlich den ganzen Sommer, doch die heftigen Gemüthsbewegungen |2| die über sie kamen, erst durch den Tod meines Bruders, dann durch die Berichte über ein entsetzlich qualvolles Leiden u. Sterben einer Jugendfreundin haben ihre Nerven durch u. durch verstimmt. – Nun sind es schon über drei Monate, daß das Leiden über Nacht gekommen war u. seitdem fast ununterbrochen da ist. – Auch das Broomwasser, das sie seit 10 Tagen trinkt, hatte nur vorübergehend einen |3| Einfluß zum Beßeren. Es schwindet wirklich mehr u. mehr die Hoffnung, daß es wieder besser mit ihr werden kann. Der Sommer war auch gar zu ungünstig. Man konnte so wenig im Freien sein. – Wir fahren aber jetzt täglich 1 ½ Stunde im offnen Wagen aus und freuen uns des milden Wetters u. suchen jeden Strahl Sonne zu erhaschen. – In den Süden will meine Mutter nicht reisen. Sie fürchtet die Unbe-|4|quemlichkeit des Wirthshauslebens u. den Mangel an Verkehr. – Hier sieht sie doch täglich ihre Freunde die sie über manche Stunde hinwegbringen. – Eine schwere Prüfungszeit ist es für sie u. für uns! – Ihr lieber Mann erzählte uns, daß Sie sich so erholt haben. – Hoffentlich bleiben Sie den ganzen Winter hindurch so wohl. – Meine Mutter sendet Ihnen herzlichste Grüße. Empfangen Sie Dieselben auch von Ihrer Ihnen
aufrichtig ergebenen
Marie Schumann.
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