23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 21214
Geschrieben am: Sonntag 19.04.1891
 

Frankfurt a/M d. 19 April 91.
Liebste Emilie,
wie Du richtig vermuthest bin ich ruhig zu Haus geblieben, leider wirklich ganz zu Haus, denn seit fast 6 Wochen gehe ich keinen Schritt aus, weil ich an heftiger Erkältung (Husten u. Schnupfen) laborire, und seit 14 Tagen bin ich so von der Verschleimung betäubt, daß ich gar nicht höre, was mich furchtbar bekümmert, und ängstigt. |2| Der Arzt sucht mich immer zu beruhigen, indem er fest überzeugt sey, es gehe mit der Erkältung auch dies fort. Ich soll nun den ganzen Mai nach Baden-Baden, um das Wasser zu trinken (das mir im vorigen Jahr sofort gegen Husten geholfen hat) und gegen den Rheumatismus, der so arg ist, daß ich kaum vom Stuhle aufzustehen vermag, Bäder zu nehmen. Dafür soll dann aber Franzensbad fortfallen, u. wir schon Mitte July nach Obersalzberg gehen. Im Juni sind wir aber wieder in |3| Frkf., um noch einen Monat Stunden zu geben, und dann weißt Du, wie herzlich willkommen Du uns bist. Aber freilich, schwer lastet nun wieder die Sorge um Hedi auf Euch Allen, das thut mir doch gar zu leid. Vielleicht war doch die See nicht gut für sie! die Herzogenberg, die auch vorigen Sommer a. d. See war, liegt nun schon seit 3 Monaten fest an Herz-Krankheit, darf sich kaum rühren, keine Treppe steigen, und noch wissen sie nicht, was im Sommer geschehen soll. Es können doch wohl bei Hedi noch nicht die Jahre sein, wo die Natur sich äußert? wie alt ist sie?
|4| Wir haben indeß wieder traurigen Verlust gehabt. Denke Dir, Eugenie war, um die Fillu noch ’mal zu sehen, ehe sie mit Hallé u. Neruda nach Australien geht, in London; seit langer Zeit von unserem alten Freunde Burnand eingeladen, wohnte sie dort, und schrieb mir erfreut, wie wohl sie ihn fand. (Du weißt, wir wohnten dort seit fast 20 Jahren immer.) Vor 8 Tagen geht er Morgens wohlgemuth in die Stadt – nach einer Stunde kommt die Nachricht daß er bewußtlos in einem Laden liege – Abends war er todt. So ein plötzlicher Tod ist doch zu entsetzlich! Eug. zog natürlich gleich fort zur Fillu, das arme Kind, solch einen schrecklichen Fall zu erleben, es ist grausam für die, die bleiben. |5| Nun wird das schöne Haus, die herrlichen Bilder verkauft, und mit tiefster Wehmuth denke ich daran. Wie viele schöne, gemüthliche Stunden haben wir in dem Hause, das namentlich eine heimathliche Stätte f. d. Künstler war, verlebt, ich hatte dort wirklich ein „home“ im fremden Lande – nun ist mit England abgeschlossen, so viele Freunde ich auch sonst noch dort habe! –
Vorgestern hat sich die Fillu eingeschifft, und Eug. und eine Freundin der Fillu, eine reiche Engländerin, begleiten sie bis Malta, gehen nach Sicilien, u. wieder zurück n. London – Mitte Mai will Eug. zurück sein.
|6| Im Hause, der Familie, haben wir viel Bewegung auch gehabt, besonders Marie. Sie hat Julie und den aeltesten Enkel vollständig ausgestattet, das war keine kleine Arbeit neben ihren vielen anderen. Julie ist nun confirmirt, u in Halberstadt f. d. Sommer, um wirthschaften zu lernen – im Herbst soll sie zu uns. Der Aelteste kam 1/2 Stunde von uns bei einem sehr netten gebildeten Apotheker in die Lehre! er ist ein schöner u. begabter Junge, besonders auch für Musik, aber, – der Enkel v. Robert Schumann?
Bei Ferdinand in Gera steht es schrecklich, das eheliche Verhältniß ist entsetzlich! ein großer Kummer für uns.
|7| Für Deinen Schützling Pfitzner kann ich nichts thuen, denn ich kenne ihn kaum, keine Note von ihm, u. Scholz sein Lehrer scheint nicht so sehr zufrieden, er sagte mir wenigstens, als ich ihn einmal nach ihm frug, er sei sehr eingebildet! Ich begreife nicht, wie er darauf kommt gerade nach München zu gehen! in Frkf. ist, glaube ich recht viel für ihn geschehen, aber ordentlich Schule im Clavier scheint er mir auch nicht gemacht zu haben, und |8| Unterricht ist nun doch einmal das Einzige womit so ein armer Componist sich durchhilft.
Ich muß schließen, und bitte Dich, meine alte liebe Mila um recht baldige Nachricht wieder über die liebe Hedi. Grüße sie herzlichst und sey umarmt
von Deiner
alten
Clara.
Marie grüßt sehr.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Frankfurt am Main
  Empfänger: List, Emilie (962)
  Empfangsort: München
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
826-830

  Standort/Quelle:*) D-Zsch, s: 10139,8-A2
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



Wir verwenden Cookies, um Ihnen den bestmöglichen Service zu gewährleisten (Mehr Informationen).
Wenn Sie auf unserer Seite weitersurfen, stimmen Sie bitte der Cookie-Nutzung zu. Ich stimme zu.