Kreischa d. 23 Mai 1849.
Meine liebe Mila,
es wird mir Angst und Bange, wenn ich Deine drei Briefe vor mir sehe, und daß ich noch Keinen beantwortet habe! so schuldig ich auch erscheinen mag, so kannst Du glauben, es ist im Grunde genommen immer nur Liebe, die mich so lange <schreiben> schweigen läßt, denn, habe ich nicht viel Zeit vor mir, so fange ich gar nicht erst an – kurz kann ich Dir, meiner liebsten ältesten Jugendfreundin nicht schreiben. Vergangenen Winter kam aber so Manches Andere noch zwischen Dich und mich. Ich hatte sehr viel zu thuen, indem ich mit Schubert <hie> in Dresden 5 musikalische Soireen gab (die sich eines großen Beifalls zu erfreuen hatten und immer drückend voll waren), ferner doch täglich 2–3 Stunden hatte, meinem Manne und Kindern doch auch angehören mußte, und in der ersten Zeit meiner Schwangerschaft war, mich also diese Beschäfftigungen schon so vielfach anstrengten, daß ich mich vor Briefe schreiben sehr hüten mußte, was mich von jeher allemal in dieser Zeit sehr angreift. Auch jetzt ist dies noch der Fall, doch habe ich mir vorgenommen ┌an┐ diesem Briefe mehrere Tage zu schreiben, und da werde ich schon zu Stande damit kommen. Jetzt zur Beantwortung Deines ersten Briefes vom Dezember, der eine Stelle enthält, die ich nicht unberührt lassen darf. Es ist dies, wo Du mir so schwesterlich Deine Hilfe anbietest, wenn ich sie bedürfe; nimm meinen herzlichsten Kuß dafür! ich quälte mich allerdings damals mit einigen Sorgen, doch blieb mir <doch> immer der |2| nächste Weg, dieselben nämlich Robert mitzutheilen, der dann schon geholfen hätte! es fügte sich jedoch sehr bald, daß ich gute Stunden und in den Soireen schöne Einnahmen hatte, so daß ich der nächsten Zeit mit Ruhe entgegen sehen konnte. Vor allem hatte auch Robert durch Compositionen viel verdient, vorzüglich auch durch das „Album für die Jugend, 40 Clavierstücke“ das einen ungeheueren Absatz hatte, und seit seinem Erscheinen (zu Weihnachten) 800 Exemplare abgesetzt sind, wie wir durch den Titelstecher erfuhren. Du kennst es doch gewiß! es steckt ein wahrer Schatz von Poesie in diesen kleinen Stücken, die dabei so leicht eingänglich sind, daß, die erste Hälfte namentlich, schon kleine Kinder spielen können und großen Gefallen daran finden. Meine Marie spielt schon viele von den Stücken. Ueberhaupt aber war mein Mann ungeheuer fleißig. Er schrieb unter Anderem: „Adventgesang“ geistliches Gedicht von Rückert für Chor und Orchester, (erscheint nächstens bei Härtels) großes Concertstück für 4 Hörner mit Orchester (besonders zu Festgelegenheiten geeignet), 4 Hefte Romanzen und Balladen für gemischten Chor, (erscheinen bei Whistling), Romanzen für Frauenchor, 3 Stücke für Clavier und Clarinette, Adagio und Allegro für Clavier und Horn, – ein <St> größeres Stück, von dem ich aber noch Niemand sagen soll, das mir aber ganz herrlich und neu erscheint, und so noch Vieles Andere! – Inmitten der letzten Schrecknisse schrieb er merkwürdiger Weise am Jugendlieder-Album, an 30 der reizendsten kleinen Lieder, die ersteren, wie schon in dem Clavier-Album, für Kinder, die Letzteren schon für etwas <Aelt> Aeltere. Dieß Album soll zu Weihnachten erscheinen, und zwar mit Randzeichnungen vom Professor Richter wahrscheinlich; da nun aber |3| Robert mit Bendemann, Hübner <,> und Rietschel befreundet ist, so hofft er auch von Diesen Jeden eine kleine Randzeichnung zu erhalten. Ihm fiel ein, ob Du, da Du so genau mit Kaulbach bekannt, ihm wohl auch von Diesem eine Solche <erhalten> ┌verschaffen┐ könntest? stehst Du so <von> mit ihm, daß Du es kannst, so schreib ihm darüber, ob er wohl geneigt wäre? wäre dies der Fall, so schriebe ihm dann mein Mann selbst Genaueres. Du müßtest es aber sehr bald thuen, da an dem Werk bald angefangen werden muß. Freilich, bezahlen könnte es mein Mann dem Kaulbach nicht, denn Wenig kann man so einem Künstler nicht geben, und Viel kann Robert auch nicht – es wäre <es> eben ein reiner Freundschaftsbeweis von Kaulbach für Dich. Bitte, antworte mir bald etwas hierauf.
Ueber Lina’s Unwohlseyn bin ich aber recht erschreckt, ist es nicht etwa noch etwas Anderes, irgend ein Gedanke, der ihr diese Melancholie macht? es ist doch ein gar seltener Fall bei einem so jungen Mädchen! mahlt sie jetzt gar nicht? wie steht’s mit Deinem Bilde? – Ist Dein Bruder Carl gekommen? und, wann kommst Du endlich einmal zu mir? nicht vielleicht im Herbst? ach thätest Du es doch! im July erwarte ich meine Niederkunft, und dann bin ich doch hoffentlich bis zum Septbr. wieder ganz wohl, wenn ich überhaupt leben bleibe. Ach, hätte – ich es doch endlich wieder einmal überstanden!
Meines Mannes Oper hat sich in Leipzig immer und immer hinaus geschoben und soll nun im Septbr. daran kommen – mein Mann hat die Aufführung wegen der schlechten Zeiten jetzt nicht eben betrieben. In Dresden stehen wir mit dem Intendanten des Theater’s nicht so, als daß ihm Robert ein gutes Wort gäbe; <daher> ist die Oper nur einmal aufgeführt, und gefällt, (was man freilich nicht wissen kann) so kommen sie hier schon auch. Ueber ein Mißverständniß, das wegen der Aufführung in Dresden vorgefallen, will ich Dich doch aufklären, im Fall Du davon hörtest, und, wie gewöhnlich solche Dinge verdreht werden, ganz anders, als es ist. Mein Mann |4| schickte Anfang Nov. vorigen Jahres die Oper an die Dresdner Intendanz, und erhielt bald darauf vom Intendanten einige Worte, worin Dieser schreibt, er würde ihm bald seinen Entschluß über die Aufnahme mittheilen, nur müßte er sich überlegen wegen der Zeit ect. Darauf verging der Nov. Dec. und Jan. ohne, daß Robert eine Antwort erhielt. Das erschien ihm so grob, und Jeder gab ihm darin Recht, daß er kurzweg an die Intendanz schrieb, und die Oper zurückverlangte, in Details, warum, ließ er sich nicht ein. Du mußt nämlich wissen, daß der Intendant ein Aristocrat ist, wie es nur Einen geben kann, und alle Künstler behandelt, als seyen sie Hunde, daher auch gerade hier meines Mannes Ehrgeiz nicht zuließ, eine Grobheit von Dem ruhig hinzunehmen. <Kurz nachdem Dieser> Am selben Morgen, wo der Brief auf der Post abgegeben ist, begegnet mir der Theater-Regisseur Schmidt, und als ich ihm meines Mannes eben gethanen Schritt mittheile, erschrickt er gewaltig, und sagt „Mein Gott, der Intendant hatte mir ja die ganze <Sache> Sache aufgetragen, und daß ich Ihrem Manne sagen solle, daß die Oper angenommen sey ect. ich dachte ich würde ihn einmal zufällig treffen, um ihm dies zu sagen“! so ein Esel! Lüttichau hätte wohl selbst schreiben sollen, aber dumm war es doch von diesem Menschen, Einem so etwas nicht gleich zu sagen. Die Sache war nicht mehr zu ändern – Robert zu stolz um den Intendanten wieder anzusprechen, und der Regisseur jedenfalls zu ängstlich, Lüttichau seine Dummheit einzugestehen. Ich denke über solche Dinge immer, es kommt Alles wie es kommen soll – mein Mann hat doch die Genugthuung, daß er sich von diesem stolzen Menschen nichts hat gefallen lassen. Jetzt haben nun die ganzen Theater-Verhältnisse hier eine Aenderung erlitten, da das alte Opernhaus mit allen Decorationen und Kostümen verbrannt ist, so daß gar nicht gespielt werden kann.
|5| Nun, meine liebe Mila, bist Du wohl wieder ausgesöhnt mit mir, denn über drei Stunden habe ich heute nur Dir gewidmet. Es strengt mich aber das Schreiben sehr an, darum will ich auch nun schließen. Daß Du mich besuchen sollst, davon sage ich gar nichts mehr, denn Du thust es doch nicht – Gott weiß, ob wir uns in diesem Leben noch wieder sehen, denn fast fange ich an zu zweifeln! mir steht wieder eine schlimme Zeit bevor – wird der Himmel sie mich glücklich überstehen lassen, wer weiß es! –
Bitte, liebste Emilie, entschuldige mich bei Elise, daß ich ihren Brief vom 17 Febr. nicht beantwortet habe, D[ieser] gilt ja auch ihr mit – sie wird mich jetzt entschuldigen! – Grüße sie, sowie Deine liebe Mutter und Lina 1 000 Mal, Deinen Schwager, Frau von Coith und Töchter und versichere Letzteren <meine> meine aufrichtigste Theilnahme, solch [ein] Schmerz ist grausam! – Schreibe mir was Elisens Kinder machen, und ob sie wieder Vergrößerung ihrer Familie zu erwarten hat, überhaupt bitte ich Dich recht dringend, schreibe mir bald wieder – vergilt nicht Gleiches mit Gleichem! –
Leb wohl, meine Theuere und behalte lieb
Deine
alte, ewig treue
Clara.
NB. Liebste Mila, es ist zweifelhaft geworden wegen der Randzeichnungen zu Roberts Lieder-Album, darum laß das an Kaulbach noch, bis ich Dir wieder schreibe.
|6| Fräulein
Frl. Emilie List.
Abzugeben bei dem Herrn
Gustav von Pacher in der Schönauer
Niederlage
in
Wien.
Franco.