23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 21996
Geschrieben am: Samstag 15.07.1854
 

Düsseldorf d. 15 July 1854
Einige Zeilen, meine liebe Mila, muß ich Dir doch schreiben! mein Herz drängte mich längst dazu, doch gerade eben wenn es so voll ist, bricht Einem oft der Muth anzufangen. Könnte ich Dich einmal ein Stündchen neben mir sitzend haben, Du würdest sehen, wie mein Herz immer das alte, vertrauungsvolle zu Dir ist. Ach, meine Emilie, als ich Dir das erste Mal von meinem Unglücke schrieb, dachte ich, ich wollte Dir nicht eher wieder schreiben, als bis ich Dir gute Nachrichten geben könnte, doch das dauert zu lange; ich <muß Dir> kann Dir doch wenigstens etwas bessere Berichte geben. Mein theuerer Robert befindet sich besser, aber es geht sehr langsam! er ist heiter, freundlich, sein körperliches Befinden außerordentlich gut, Schlaf, Appetit, Alles das vortrefflich, wie mir der Arzt schreibt, und Beängstigungen hatte er jetzt schon seit dem 7 Juni nicht mehr, nur, daß man Ihn öfters leise lächelnd und vor sich hinsprechend findet. Was mich aber so unendlich betrübt ist, daß er noch nie nach mir oder den Kindern gefragt – denkt er nicht an uns, oder ist es Scheu? fühlt er sich noch nicht stark genug nach uns zu fragen? fürchtet er die Aufregung? Diese Fragen thue ich mir unendlich oft, <> und ist es mir zuweilen, |2| als müßte ich selbst ganz verwirrt im Kopfe werden. Ueberhaupt, meine Mila, was ich Alles durchgemacht, welche schmerzhaften Stunden an Leib und Seele, das kann ich Dir nicht beschreiben, nur Gott kann es wissen! –
Am 11ten Juni schenkte uns der Himmel einen Knaben – das stärkste von allen Kindern, die ich <habe> gehabt, und so ein lieblicher Knabe, ganz seinem Vater wie aus den Augen geschnitten! Du kannst Dir nun wohl denken, mit welchen Gefühlen ich dies Kind betrachte! denke Dir den theueren, geliebten Vater, fern leidend und nicht einmal von seiner Existenz wissend! nur die Kraft von Gott kann über solche Schmerzen hinweg helfen. Denke wie wunderbar, das Kind, von dem Alle dachten, es würde ein schwächliches sein, gerade das kräftigste, dabei ich ein ganz gutes Wochenbett! bis zum 10ten Tage war ich ganz wohl körperlich; da besuchte mich meine Schwägerin aus Leipzig, die ich noch nicht gesehen hatte, und dieß regte mich so auf, daß ich eine schlimme Brust bekam, an der ich noch jetzt leide; ich habe furchtbare Schmerzen ausgehalten, doch jetzt geht es besser, und so will ich nächste Woche auf 14 Tage nach Berlin zur Mutter, um mich ein wenig zu zerstreuen und einmal aus den Räumen zu kommen, die mir so |3| unendlich lieb und heilig sind, mich aber immer, unaufhörlich an mein Unglück erinnern! – Später, Mitte August, will ich nach Baden-Baden, um dort Concert zu geben und vielleicht noch in ein Seebad, oder, was meinst Du zu München? Du wunderst Dich vielleicht, daß ich an Concerte geben denke, doch meine Mila, ich hoffe, die Liebe zu meinem Robert soll mir Krafft dazu verleihen. Schenkt Gott mir Ihn gesund wieder, so soll er durch Nichts an seine Krankheit erinnert werden, und so habe ich das Ziel, das womöglich jetzt zu verdienen, was seine Krankheit kostet – giebt Gott seinen Segen dazu, so habe ich dann die Freude sagen zu können, „hier Robert ist Deine Kasse, wie Du sie verlassen“! Nicht wahr, Liebe, nun begreifst Du meinen Entschluß – schwer wird es mir gewiß auszuführen mit einem Herzen voll des tiefsten Weh’s. Nun wieder auf München <gekom> zu kommen, man rathet mir von allen Seiten zur Ausstellung dahin zu gehen, ich kenne aber Niemand dort, kann mich also nach Nichts erkundigen. Du kennst aber die Verhältnisse, und könntest mir vielleicht einige Briefe an Familien schreiben? ach, wärest Du doch Selbst dort! |4| Willst Du mir recht bald Antwort auf meine Frage geben? adressiere nur hierher, doch bitte ich Dich unfrankirt, wie Du auch diese Zeilen erhälst.
Noch immer muß ich mich schonen und das Schreiben greift doch meine Brust an, daher ich mich jetzt von Dir trenne. Die gute Elise, Lina und Deine Mutter grüße Alle herzlichst von mir! – Ich las gestern im 4ten Bande der Schrifften Roberts über Elise – das war mir recht eigen. Welch einen Schatz an Poesie, Gemüth und Geist diese Schrifften in sich bergen, sehe ich erst jetzt recht ein, jemehr ich sie lese; von allen Seiten schreibt man mir Gleiches darüber.
So leb denn wohl! habe Dank für Deinen letzten lieben Brief, der mich aber theilweise auch recht betrübte. Könnte man doch beisammen sein, wie ganz anders ist das, als mit der Feder in der Hand!
In treuer inniger Liebe
Deine
Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
Absendeort: Düsseldorf
  Empfänger: List, Emilie (962)
Empfangsort: Schönau
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
293ff.

  Standort/Quelle:*) Slg. Cornides; Abschr. (gek.) in Copien-Mappe Marie Sch.
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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