23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 22000
Geschrieben am: Montag 11.02.1856
 

Wien d. 11 Febr. 1856 Montag.
Liebste Mila,
seit 8 Tagen schon versuche ich es jeden Tag Dir zu schreiben, und immer war’s unmöglich, so viel war ich in Anspruch genommen. Dir heute zu schreiben, wird mir unendlich schwer, denn ich muß Dir sagen, daß sich seit unseren letzten Briefen meine Pläne sehr geändert. Ich bekam sehr gute Anträge von Bennett nach England, und habe, nachdem ich einige Tage schwer gekämpft (zwischen Neigung und Pflichten) zugesagt, folglich ist’s für jetzt unmöglich nach München zu kommen. Ich gehe Mittwoch nach Pesth, bleibe dort 14 Tage, gebe dann hier |2| auf der Rückreise ┌d. 1 März┐ ein 6tes Concert, und gehe dann nach Prag. Dort muß ich mindestens 14 Tage auch bleiben, und muß auch in Dresden meine Concerte im Stich lassen, weil ich einige Tage in Leipzig zubringen muß wegen Marie und Elise, die ich dort in Pension bringe; ich kann also, Alles auf’s Kürzeste berechnet, erst d. 20ten in Düsseld sein, und bleiben mir dann nur 14 Tage dort zur Vorbereitung für England, und meine Kleinen zu sehen. Anfang April gehe ich nach London.
Liebste Emilie, bei ruhiger Ueberlegung wirst Du finden, daß ich gut gethan, mich so zu entschließen. Einmal muß ich nach England, jetzt bin ich gesund, und kann meinem Robert, so Gott Ihn wieder herstellt, dort vorbauen für später, und vielleicht, geht’s |3| glücklich, Etwas verdienen, zurücklegen, damit später Robert sich nicht zu kümmern braucht, wenn er noch nicht wieder <viel[?]> verdienen kann; wer weiß, bedarf er nicht eines Aufenthaltes für längere Zeit in der Schweiz, oder sonst wo gute Luft ist, und welche Wonne dann für mich, kann ich machen, daß er ungetrübt seiner Gesundheit lebt. Dieser Gedanke begeistert mich, er muß mir Muth geben! Unendlich Schweres habe <d> ich ┌schon┐ durchgemacht, vielleicht giebt Gott mir auch dazu Krafft und Segen. Ich weiß, meine Mila, Du bist betrübt, daß ich nicht komme, aber ich weiß auch daß Du Dich für mich freust, daß ich endlich einmal nach London gehe; und München gebe ich für den Herbst keineswegs auf.
Hier bin ich vom Publikum auf Händen getragen worden, und habe doch so viel verdient, daß ich 5–6 Monate mit meiner Familie davon leben könnte; |4| das ist aber nicht genug, ich muß für später sorgen.
Frl. Binzer schrieb mir neulich und bot mir in ziemlich burschikoser Weise <Logie> kostenfreies Logie in ihrem Hause an; ich solle kommen, sie wollen sehen, ob sie ein Concert zusammenbrächten. Ich schrieb Ihr, an den Haaren möchte ich das Publikum nicht in meine Concerte ziehen, das bin ich nicht gewohnt. Was denkt die wohl? verdienen muß ich, das ist wahr, aber betteln thue ich nicht; für ein mühsam zusammengetrommeltes Publikum danke ich, überhaupt, liebe Emilie, was <K> meine Künstlerehre betrifft, bin ich sehr stolz.
Ich muß Dir nun Adieu sagen, habe Morgen das 5te Concert, gestern im philh. Concert gespielt, Donnerstag in Preßburg wieder Concert, kurz, schrecklich viel zu thuen.
Grüße alle Deine Lieben, und schreibe mir bald wieder, daß Du mir <> nicht zürnst. Ich wohne in Pesth bis zum 26ten d. M. im Hôtel de l’Europe.
Von ganzem Herzen Deine alte
Clara.
Daß Elise wieder wohl, freut mich sehr, und auch die gute Lina
Mir thut’s schrecklich weh, daß ich Euch nun nicht sehe, wie schwer ist’s Pflichten erfüllen.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Wien
  Empfänger: List, Emilie (962)
  Empfangsort: München
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
306ff.

  Standort/Quelle:*) Slg. Cornides; Abschr. (gek.) in Copien-Mappe Marie Sch.
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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