23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 22007
Geschrieben am: Montag 10.04.1871
 

London d. 10 April 1871.
14, Hyde Park Gate
Theuerste Mila,
ich will doch nicht länger warten Euch, Hedwig ganz besonders, meine herzlichsten Glückwünsche zu dem neu angekommenen Sonntagskind zu sagen. Wie oft dachte ich daran es zu thuen, aber ich weiß oft nicht wo mir der Kopf steht, so verschiedenartig sind die Ansprüche an mich, dabei denn doch meine Kräffte nicht mehr so, daß ich immer im Stande wäre etwas zu thuen – ich muß |2| mich doch zuweilen ’mal ausruhen, es kommt selten genug! – Hoffentlich ist nun die liebe Hedwig schon wieder ganz hergestellt, und genießt die ersten Mutterfreuden! wie sehr froh bin ich auch <> über Deine guten Nachrichten von Elise! wie es ist doch gar so betrübt, daß wir uns nie mehr länger sehen, nun geht Ihr wieder nach Carlsbad, wohin ich schon seit Jahren nicht mehr gegangen. Ich könnte Euch eine gute Adresse geben, eine sehr nette Wohnung, gute Betten, und, was in Carlsbad für Leute, die sich nichts daraus machen ein wenig zu steigen, |3| angenehm ist, wegen der guten Luft, etwas hoch gelegen, man sieht über die ganze Stadt hin, und ist mit 10 Schritten im Walde, aber auch mit einem in der Stadt, Alles ganz nah. (Die Luft ist so viel besser etwas höher.) <De> Ihr könntet dann schon Zimmer vorher bestellen. Es sind ein großes Wohnzimmer, und ein Schlafzimmer mit 2 Betten daneben. Ihr müßtet aber nur wöchentlich miethen, denn es könnte Euch ja vielleicht nicht gefallen da. Die Adresse ist: Hirschensprunggasse im – nun kann ich mich nicht besinnen wie es hieß. Da muß ich erst Frl. Leser fragen, die wird es noch wissen. Reflectirst Du darauf, so schreibe es mir früh, dann verschaffe ich Dir die Adresse.
|4| Wir haben schon einige Handschriften gesammelt, und Marie schickt sie Dir von Deutschland aus, Anfang Mai. Ich bin jetzt hier mit meinen Engagements fertig, habe nur am 20ten eine Matinee noch, und wollen wir am 22ten fort, einige Tage in Brüssel, Einige in Düsseld, und Einige in Coblenz bleiben. So Gott will erleben wir den 1 Mai wieder in unserem Häuschen. Ach, liebste Mila, kämest Du doch ’mal auf einige Wochen zu mir, welch eine Freude wäre mir das!!! –
|5| Mit Julie hast Du Recht, unsere schönen Pläne sind ganz zerstört. Ob ich sie nun dies Jahr überhaupt sehe ist ganz unsicher. Wie sollte ich es machen? ich könnte nur vor Moritz zu ihr auf etwa 8 Tage, dann muß sie aber schon wieder nach Turin zurück, und ich will sie doch auf dem Lande in ihrem eigentlichen home gern besuchen, nicht in der Stadt wo sie kaum für sich selbst Platz haben! es ist recht betrübt, daß es sich so schlecht trifft. Ueberhaupt kommt mir ┌Manches┐ recht in die Quere. Wir hofften, und hoffen etwas noch immer, den Ferdinand |6| vom Juli an bei <zu> uns zu haben. Nun sieht es ja aber so schrecklich in Paris aus daß man gar nicht weiß, was da werden wird, und der arme Junge steht noch immer vor Paris, täglich aufs Aeußerste angestrengt mit Dienst, dabei Mangel, eine dünne Strohlage seit Wochen als Bett, keine warmen Sachen, da sie vorher Alles fortgegeben hatten, glaubend es sey nun warm und der Frieden abgeschlossen. Welch eine furchtbare Zeit erleben wir! das arme Frankreich! was ist dort für ein Gesindel, die Wilden können kaum schlimmer sein.
Meine Mila, wollte ich schreiben Alles was ich |7| Dir sagen möchte, ich fände sobald kein Ende, werde aber jetzt schon wieder, kaum eine Stunde am Schreiben, gemahnt aufzuhören. Laß mich bald wieder von Euch hören meine Theuere. Du weißt es ja, wie mein Herz und mein Gedenken immer dasselbe getreue ist, und ewig bleiben wird.
Ich schreibe Dir wieder, wenn Marie die Handschrifften schickt.
In alter Liebe für Dich und Elise
Deine
Clara.
P. S. Ich schrieb Dir gar nichts von meinem Aufenthalte hier. |8| Du könntest glauben es wäre mir nicht gut gegangen, daher ich Dir noch in Kürze sage, daß ich sowohl im Hause bei den lieben Freunden Burnands sowie vom Publikum quasi auf Händen getragen worden bin, und habe ich über etwas zu klagen, so ist es nur meine oft ganz entsetzliche Aengstlichkeit beim Oeffentlich-Spielen, die mir die Anstrengungen natürlich sehr vermehrt. Trotzdem muß ich aber selbst sagen, ich habe sehr glücklich gespielt, und oft zu meiner eignen Befriedigung. Ich selbst bin mein strengster Kritiker.
Noch’ mal Adieu, liebe Beste! –
Marie grüßt schönstens – sie hat es diesmal doppelt angenehm als Eugenie mit hier ist.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: London
  Empfänger: List, Emilie (962)
  Empfangsort: München
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
507-510

  Standort/Quelle:*) Slg. Cornides; Abschr. (gek.) in Copien-Mappe Marie Sch.
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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