23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 22014
Geschrieben am: Sonntag 14.12.1873
 

Berlin d. 14 Dec. 1873.
In den Zelten Nr 10, II Stock
Liebe Emilie
endlich wird es mir möglich Dir zu schreiben, was ich schon längst gern gethan hätte, da ich aber große Schmerzen im Arm habe, nicht konnte, weil immer auch so viel Nöthiges eigenhändig zu erledigen war, und ich so ungern an Freunde dictire. So komme ich denn sehr spät noch mit meinem Danke |2| für Euere freundliche Aufnahme, dessen ich Euch zwar durch Eugenie versichern ließ, weiß aber nicht, ob sie es wirklich ordentlich gethan. Sonstiges von uns erfuhrt Ihr durch sie. Leider höre ich aber, daß in neuester Zeit die Cholera ┌in München┐ wieder sehr stark aufgetreten ist, was mir sehr leid thut für Euch – das ist doch eine stete Sorge! hoffentlich ist sie in Eueren Stadttheil nicht gedrungen.
Seit 8 Tagen bin ich nun endlich fest hier, sehr hübsch fand <d> ich das Logie, bin aber, nachdem ich in Dresden meine Mutter |3| besucht, in furchtbar trauriger Stimmung; sie allein, vereinsamt zu finden, in einer neuen Wohnung, zu der man die alte, jetzt schon halb niedergerissen, um einem neuen Hause Platz zu machen, stets passiren muß, war mir sehr hart, überhaupt hat dieser Besuch meinen Schmerz erst recht zum Ausbruch kommen lassen. Ich habe den Vater sehr lieb gehabt, in ihm ja auch eigentlich <den> Vater und Mutter, unendlich viel danke ich ihm, nicht nur künstlerisch sondern auch in practischer Lebensanschauung, in Principien, naturgemäßiger körperlicher Pflege, wodurch ich ja auch wieder auf meine Kinder günstig einwirken |4| konnte. – <>
In der Kunst waren unsere Ziele nicht immer Dieselben, aber die Inspiration für Diese, die Pietät, ich möchte sagen, Heilighaltung <d> der Kunst, das danke ich ihm, er pflanzte diese Empfindungen schon in meine Kinderseele, und hat sie selbst bis zu seinem letzten Athemzuge bewahrt. Und nun denke Dir, dieser einfache anspruchslose Mann, (was Lebensbedürfnisse betrifft) hinterließ uns ein ganz schönes Vermögen, an die 60,000 rh und hat meiner dabei liebevoll gedacht. Das hat mir ein Weh bereitet, ganz unsäglich! die Papiere, die er liebend für uns gesammelt, nur anzurühren |5| war mir schon schrecklich. Es vergeht kein Tag, wo ich mich nicht ein paar mal ausweinen muß! ach, wäre er noch, blitzte noch sein feuriges Auge, tönte ┌noch┐ sein beredter Mund, – hätte ich ihn nur noch einmal umarmen können! – Die Mutter und Marie waren sehr nett gegen mich, die Mutter rührend in ihrer Anspruchslosigkeit. Ich werde auch an ihr thuen, was ich kann, ihr den Schmerz zu erleichtern. Sie ist tief gebeugt, zeigt es aber nur im intimen Verkehr.
Von Levi hatte ich nach der 2ten Genovefa-Aufführung Nachricht, und daß Frl. Scheffzky diesmal mehr reüssirt hat, was mich natürlich freute.
|6| Recht leid war es mir, daß wir die Decke jetzt zurückverlangen mußten, trotz unserer vielen Decken hatten wir doch nicht Eine auf meinem Tisch, da die Eine die Kinder in der Wohnstube haben, Eine über dem mit unpolierten Platten belegten Eßtisch liegt, und die Graue in dem schwarz meublirten Zimmer entsetzlich aussah, so daß wir gar keine liegen haben, was aber nachtheilig f. d. Tisch ist. Marie schickt Dir die Decke wieder, wenn ich nach England gehe. –
Meine Bücherschränke sind hübsch ausgefallen, machen sich aber namentlich dadurch sehr hübsch, daß an verschiedenen der Fächer längliche Goldbummeln hängen so wie auf beiliegendem Zettelchen aufgezeichnet |7| ist. Schicke doch, bitte, die kleine Zeichnung an den Meubleur und laß ihm sagen, ob er nicht einige solche Goldbummeln (besonders auch gerade ob an den Seitenfächern) anbringen könnte, und noch unten. Ich besinne mich mit ihm darüber gesprochen zu haben aber nicht des End-Beschlusses. Er wird doch nicht vergessen haben, daß ich ein paar Unterschiede in dem rechten Fach unten wünschte für Geld ect. Du siehst Dir wohl den Tisch noch an, ehe er abgeht? er soll ihn auch ja recht sorgsam verpacken – wir haben fast Alles beschädigt hierher erhalten.
Eugenie schrieb Dir wohl, daß ich große Unannehmlichkeiten hier mit Rudorff hatte, und daß die ganze Hochschule gegen mich war, |8| daß ich Nathalie zu mir genommen – als habe ich sie der Hochschule abspenstig gemacht, dabei war sie aber bereits vorige Ostern schon abgegangen, und wollte gar nicht wieder hinein. Bin ich je in meinem Leben unverschuldet in eine unangenehme Lage gerathen, so war es hier. Jetzt ist die Sache abgewickelt – Rudorff mußte wohl einsehen, wie unrecht er mir gethan, aber natürlich, ist das alte Vertrauen, was ich zu Letzterem hatte erschüttert, was ich gar nicht für möglich gehalten hätte, denn er ist im Grunde ein edler, reiner Character. Ich bat, ihm zur Genugtuung, Nathalie, wieder Unterricht nur bei ihm zu nehmen, das wollte er aber nicht, er könne nicht, sie sey zu undankbar gegen ihn gewesen ect. Nun, ich behalte sie jetzt; so lieb es mir unter den Umständen auch |9| gewesen wäre, wäre sie zu ihrer Mutter zurückgegangen, so hätte ich es doch grausam gerade jetzt gefunden sie zu verlassen. Sie hat schwere Zeit gehabt mit mir – ich war außer mir so verkannt worden zu sein, die ich doch wahrlich gerade meinen Collegen tausend mal lieber nützen mag, als im geringsten Einen beeinträchtigen. So kam in letzter Zeit recht Vieles zusammen, wie denn überhaupt so häufig in meinem Leben. Eine schöne Erinnerung und mich immer noch über Manches hinwegtragend, ist mir die genußreiche Woche in München, an der zehre ich – in’s Theater gehe ich hier nun ’mal gar nicht. Leider höre ich Einiges von Wüllner, was mich verwundert, und ich fürchte sehr, daß er selbst sich seine Stellung verscherzt, wenn er gegen Levi unternimmt, z. B. ihm dies oder Jenes wegnimmt, worauf |10| Dieser gerechnet ect. sprich nicht davon, es führt zu nichts.
Ich muß nun <S> schließen. Unterdeß war ich beim Doctor, der mir Emser Krähnchen verordnete, um das Blut zu entsäuern, wie er sagt, das wohl viel Schuld an meinen Leiden jetzt hat. Ich konnte leider die Umschläge von Gutta-Percha-Leinwand gar nicht vertragen, sie kälteten mir so sehr die Haut. Ob ich diesen Winter noch spielen kann, weiß ich nicht, es müßte eben viel besser mit den Armen werden, wozu ich wenig Hoffnung habe. Es wäre zu manchem Traurigen das Traurigste.
Grüße sehr Elise, Lina, Hedi, auch Hrn. Oldenbourg und sey umarmt in alter Treue von
Deiner
Clara.
Marie und Eugenie grüßen schönstens.
Wie geht es der Hedi jetzt?
Marie ist sehr vergnügt über die neue Häuslichkeit, auch Felix scheint vergnügt, und hustet weniger.
Bitte gieb dem Meubleur meine obige Adresse – die frühere existiert nicht mehr. Auch soll er den Schreibtisch ja gegen bestimmte Zeit der Fracht f. eine bestimmte Summe versichern, dann muß er doch nach Absendung circa in 8 Tagen hier eintreffen.
Bitte sprich nicht über meinen Rheumatismus, es wird gleich übertrieben und geht gleich in die Zeitung etc.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Berlin
  Empfänger: List, Emilie (962)
  Empfangsort: München
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 8
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit der Familie List und anderen Münchner Korrespondenten / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Ekaterina Smyka / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-019-3
561-566

  Standort/Quelle:*) A-Wgm: Slg. Cornides; Abschr. (gek.) in Copien-Mappe Marie Sch.
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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