Frankfurt d. 3. 3. 89.
Liebste Mila!
Hab’ Dank, daß Du Dich zu einem so lieben Brief an mich ermannt hast; ich weiß es zu schätzen.
Hätte ich Zeit, Du bekämest, müßtest von Rechtswegen, einen langen Brief bekommen, aber ich will morgen nach Leipzig, u. da giebt es wieder Allerlei vorzubereiten. Ich spiele nächsten Donnerstag, wenn |2| Alles gut geht, im Gewandhaus in Leipzig. Morgen reisen wir dorthin ab.
Wie gut ist es, daß Hedwig wieder so viel wohler ist, freilich schlimm, daß sie sich so wenig schonen kann. Mit der Elise H. scheint mir Euer Plan sehr gut, diese kann dann doch auch manchmal mit den jungen Mädchen in Gesellschaft gehen ohne die Mutter.
Bei uns hat sich in der Zeit, daß wir nicht von einander hörten, manches zugetragen. Ich war in Berlin, wo ich mit Joachim ein brillantes Concert gab das mir viele Freude gemacht hat. Hier im Hause hat sich auch Einiges geändert, indem die Fillunger nach England gegangen ist, um sich dort niederzulassen. Hier |3| wollte es ihr nicht gelingen, zu einer Existenz zu kommen, – ich glaube, die Hauptschuld war, daß sie so gar wenig persönlich beliebt ist, dann aber auch, das Princip der hies. Concertgesellschaft, keine einheimischen Künstler in ihren Concerten zu verwenden; all die Sängerinnen hier, u. deren ist eine große Anzahl, klagen über Mangel an Verdienst. Der Fillunger Fortgang war aber schwer für Eugenie, u. brachte manch schwere Stunde auch über mich u. Marie. Eugenie verlangte daß wir sie wie ein zu uns gehöriges Glied betrachten sollten, u. das ging nicht, geht wohl überhaupt nie mit einer Fremden, am allerwenigsten, wenn sie einem so unsympathisch ist. Trotz dem |4| habe ich, des bin ich mir bewußt, Alles für sie gethan, wo ich ihr nützen konnte, auch im Hause sie stets berücksichtigt, wenn wir Gäste hatten, e. c. t. Dies von Eugenie nicht erkannt zu wissen, thut mir weher, als ich es sagen kann, denn Jemand, der Einem nicht sympathisch ist, 5 Jahre im Hause zu haben, das war doch kein kleiner Liebesbeweis für Eugenie. Dies Dir, liebste Mila, im Vertrauen: „Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.“ Es scheint ihr übrigens in England sehr zu glücken; alle Recescenzenten [sic] rühmen ihre schöne Höhe u. ihren temperamentvollen Vortrag. Gott sei Dank, sage ich, denn, glückte es nicht, was sollte werden?
Wir gehen viel mit unserer italienischen Reise um, denken etwa Mitte April bis Ende May. Ob ich mich entschließe, das weiß ich noch nicht. – Könntest Du doch mit uns – wie schön wäre das!
|5| Meine Schreiberin muß fort, ich schließe. Schwer war der Verlust Mendelssohns für mich, denke Dir, Beide in Zeit von 7 Wochen, mit Zurücklassen zweier Söhne, von Denen der Eine jetzt heirathen wollte. Solcher Verlust, und solche Eltern zu verlieren, ist doch furchtbar! es hat mich sehr mitgenommen. |6| Ich sah Herrn M. noch in Berlin, er war noch so lieb gegen mich, schenkte mir ein Andenken seiner Frau, einen Schmuck den sie getragen. Beim Abschied sagte er mir aber, er werde bald auch sterben, und ich mußte es glauben!–
Leb wohl, Theuerste, grüße Alle die Deinen! bitte für mich, daß es mir in Leipzig gut gehe!
In alter Liebe
Deine
Clara.
Die Töchter grüßen sehr.
[Umschlag]
Fraeulein
Emilie List.
München.
35 Kaulbachstrasse.