23.01.2024

Briefe



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ID: 22401
Geschrieben am: Montag 28.03.1870
 

28 März 70.
Liebe Clara,
Der Dank für Deinen lieben Brief hätte längst kommen dürfen. Lachen muß ich daß trotzdem noch nicht Deine Sorge für ein warmes Zimmer überflüssig geworden ist. Nebenbei, ich habe zwei große Oefen, aber meine Zimmer liegen nach Norden u. heizen sich schwer. Der Winter ist diesmal so hartnäckig wie es die guten Wiener nicht gewohnt sind.
|2| Alles was zum Winter gehört, haben wir in reichlichstem Maaße. Der Schnee liegt so hoch wie selten u. Concerte sind so durchaus täglich wie ich sonst es nie gemerkt habe.
Die Peri-Aufführung war durchaus sehr mittelmäßig. Chor u. Orch. waren höchst bedenklich u. die Soli, mit Ausnahme von Frau Dustmann u. Frl. Burenne ungenügend. Dazu kam der große Saal (den ich dem Werk nicht wünsche) u. das Tageslicht, das neben den bunten Wand- und Deckenfarben in mir |3| wenigstens keine gehörige Stimmung aufkommen ließ. Herbeck hat jetzt noch 4 große Orchester-Concerte! Bis jetzt aber den Winter eigentlich keinen Erfolg gehabt. Bei Gelegenheit der Peri u. sonst sind die kleineren Blätter denn auch dreist genug ihm Schuld zu geben u. ihn anzugreifen. Die großen hat er einstweilen noch in der Hand u. ich glaube auch nicht daß sich das sobald ändert.
Die Meistersinger mußten 5 mal an- u. abgesetzt werden. Jetzt aber machen die Wiederholungen ebenso viel Umstände. Schon das natürlich hindert das Publikum in Enthusiasmus zu kommen, denn dazu gehört ein gewisser Trab.
Ich finde das Publikum viel theilnahm-|4|loser als ich irgend erwartete. Ich schwärme nicht – weder für dies Werk, noch sonst für Wagner. Doch höre ich mir’s so aufmerksam wie möglich an u. so oft – ich’s aushalten kann.
Freilich <b> reizt es, recht viel darüber zu schwatzen. Ich freue mich jedoch daß ich nicht nöthig habe, alles deutlich u. laut zu sagen; <sondern[?]> etc. etc.
Das weiß ich: in allem Andern, was ich versuche, trete ich Vorgängern auf die Hacken, die mich genieren, Wagner würde mich durchaus nicht genieren mit größter Lust an eine Oper zu gehen. Diese Oper übrigens, kommt bei meinen vielen Wünschen z. B. noch vor der Musik-Direktor-Stelle!
|5| Kürzlich war ich in Klosterneuburg was mit dem Frühling öfter vorkommen wird. Es ist das eines der reichsten geistlichen Stifte u. ich wollte Du könntest einmal solche Wirthschaft sehn.
Zu thun haben die geistlichen Herren ganz u. gar nichts, wenn sie zu Haus sind.
Es sind, glaube ich, ihrer 60, davon haben – doch nach freier Wahl, etwa 20 hier in der Umgegend die reichsten Pfarren einzunehmen (Hietzing z. B. mit 5–6 000 fl.) andre 20 <sind> verwalten die riesigen Güter in Ungarn etc. u. der Rest bleibt zu Haus in oben genannter Thätigkeit. Ein eigentliches Kloster |6| z. B. Einsiedeln in der Schweiz ist immer interressanter. Hier läßt das Faullenzer u. Schlemmer-Leben – wie die Herrn ganz offen u. <gut> gemüthlich erzählen, sie bald aufhören, irgend was zu denken oder zu thun. Sie fahren zur Abwechselung nach Wien, wo sie ein Haus haben; ihr geistliches Gewand dürfen sie aber draußen laßen! U. wenn sie müde sind, ziehn sie es wieder an.
Für Unser einen nun aber ist’s eine liebliche Abwechselung. Das Stift liegt wunderschön an der Donau u. die Säle wo man wohnt, der Wein |7| den man trinkt, überhaupt die ganze Gastfreundschaft ist musterhaft.
Sobald der Frühling etwas mehr sich blicken läßt will ich auch hinaus, ich kenne doch sehr wenig Oesterreich.
Eines solltest Du Dir auch vornehmen: Nach Oberammergau zum Passionsspiel zu fahren. Vielleicht wenn Du in Karlsbad (oder wo?) fertig bist. Du weißst, daß diese Spiele sich nur alle 10 Jahr wiederholen. So viel ich weiß, hast Du sie nicht gesehen – aber gewiß oft mit Schwärmerei davon reden hören.
Personalien wollen mir keine einfallen. Den Abend |8| bin ich bei Anna Franz.
Osers sind immer in Baden, Du weißt daß das Kind im Sterben.
Von Woldemar ist ein 3tes Trio erschienen, besser ist daß seine Verlobung in der Köln. Zeitung angezeigt war.
O Wunder, von Kirchner sind Klavier-Skizzen u. ein Adagio erschienen, Mir noch nicht zugekommen.
Für Heute lebe wohl, gehe es Dir recht gut u. mit der Hand besser.
Grüße Marie u. halte lieb
Deinen
Johannes

  Absender: Brahms, Johannes (246)
  Absendeort: Wien
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort: London
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1146-1150

  Standort/Quelle:*) D-B: Mus. Nachl. Schumann, K. 7,147a–b
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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