23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 22441
Geschrieben am: Mittwoch 06.12.1854
 

Innigst geliebte Freundin,
So eben erhielt ich wieder einen theuren Brief u. eine Sendung des Herrlichsten von Ihnen. Wie viel Dank bin ich Ihnen schuldig, wie hoch haben Sie mich erfreut!
Das schöne „Gedreie“ möchte ich am liebsten gleich spielen aber es soll hier keinen vernünftigen Violinsp. geben.
Die Fantasiestücke wünschte ich mir längst ganz besonders, die riesigen Fugen dito. Vom Quin- u. Quartett wissen Sie’s.
Auch für meine Var. danke ich sehr, Sie wissen Einem doch Alles lieb zu machen.
(Lieb oder lieber?)
|2| Sie wußten wohl, als Sie’s schrieben von den Balladen, welche Freude Sie mir machten!
Mit dem Requiem haben Sie Recht, ich dachte dasselbe früher so bestimmt u. einfach daß ich Ihnen gar nicht darüber schrieb. Ich glaube, es ist besser, Sie schicken es nicht, wenn ich auch keine besondern Aufregungen fürchte.
Außerordentlich hat es mich gefreut, daß Sie mit meinem Brief an Ihren theuren Mann zufrieden sind; Sie sind es wie gewöhnlich wieder viel zu sehr!
Warum schrieben Sie mir nicht, wann Sie in Stettin etc. sein werden, damit ich Ihnen dorthin schreiben kann oder thun Sie’s noch?
Haben Sie meinen Brief in Breslau nicht |3| erhalten? Ich habe geschrieben pr. Zedlitz-Hotel.
Was Sie mir von Bülow schreiben ist recht schlimm. Vielleicht aber ist er noch nicht in Berlin u. <hat sein> ist erst zum Concert gekommen? Ich kann es mir gar nicht denken das wird auch Joachim recht schmerzen.
Ihrem Bruder bitte ich Sie fürs Erste meinen besten Dank zu sagen für sein liebes Schreiben, ich werde nächstens selbst ihm schreiben u. leider sein freundliches Anerbieten abschlagen.
Wie gern käme ich, schon seinethalben, dann gar Ihrethalben u. Joachims u. Arnims u. Grimms, aber es geht doch nicht gut.
Ich will Ihnen doch noch Einiges vom mehrerwähnten 100ten Concert schreiben, wenns Sie auch langweilt, Sie können mir hübsch nach empfinden (die Langeweile, jedoch nicht die Angst u. den Aerger.)
|4| Die Neunte ging gräßlich, wie oft wird Beethoven gekreuzigt noch nach dem Tode! Nach einer schwierigen Stelle brauchten sie immer 1 od. mehrere Takte, um wieder in den rechten Trab zu kommen.
Im Finale trat einmal der Sopran einen Takt zu früh ein, fand sich aber, Gott sei Dank, bald wieder hinein. Die Bässe spielten das Thema wie einen Trauermarsch.
Gefühlvoll wie Ochsen spielten sie Recitativ.
Beethovens Meeresstille ging ebenso, das Allegro ein paarmal zu langsam. Die guten Leute sangen das „geschwinde, geschwinde“ bedächtig genug.
Hr. Singer spielt<e> sehr schön mit ungemeiner Fertigkeit u. Sicherheit <der> leider so schlechte Sachen.
|5| Sonntag spielte er uns bei v. Linds das Concertstück Ihres Mannes recht sehr gut wohl aber gegen Joachim immer wie ein Schüler. Er klagte daß es so schwer sei, es machte ihm auch Mühe.
Man hört doch Nichts dem Joachim Ähnliches. Montag bei Avé spielten wir mein Trio, Grädener Cello.
Singer kannte meine Sachen viel u. sagte mir viel Liebes. Für Ihr fis-moll-Finale schwärmt er recht.
Meinen Brief habe ich noch immer nicht von Joachim zurück, auch seine Ouverturen schickt er nicht, die ich so sehr entbehre.
Wissen Sie, daß Grimm nach Solingen gereist ist? Seine Augen hatten schon bedeutend verloren in Hannover, jetzt werden <S>sie bei seiner schönen Cousine in Solingen schon recht lieblich graublau werden und Weihnacht in Dresden wieder schön lichtblau.
|6| Was Sie mir über <Ihr> die Last<en> schreiben die Ihr lieber Bruder an Ihrer Laune etc. zu tragen hat, beunruhigt mich nicht sehr, es wird nicht so arg sein, Sie haben mir oft genug geklagt, was ich Alles hören oder leiden müsse, u. ich habe nur das Schönste gehört u. erlebt mit Ihnen, wie im Himmel lebte ich, wenn Sie auch einmal traurig u. ernst waren.
Nochmals den innigsten Dank für die schönen Werke, <u[?]> wenn es Ihnen irgend angenehm sein könnte, dann schreiben Sie mir, wann ich Ihnen nach Stettin etc. einen Brief schicken kann.
Grüßen Sie Ihren Bruder, Mutter Agnese die Minnigliche u. A.
Leben Sie recht wohl, theuerste Frau
Ihr
Johannes Br.
Johann von Brah.
Hbg. d. 6ten Dec. 54

  Absender: Brahms, Johannes (246)
  Absendeort: Hamburg
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
Empfangsort: Berlin
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
250-254

  Standort/Quelle:*) D-B: Mus. Nachl. K. Schumann 7,18
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



Wir verwenden Cookies, um Ihnen den bestmöglichen Service zu gewährleisten (Mehr Informationen).
Wenn Sie auf unserer Seite weitersurfen, stimmen Sie bitte der Cookie-Nutzung zu. Ich stimme zu.