23.01.2024

Briefe



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ID: 22454
Geschrieben am: Montag 29.01.1855
 

Meine liebe Freundin,
Wie hat mich Ihr Brief Gestern erschreckt u. bis ins Innerste ergriffen, ihm ist gar so deutlich der allergrößte Schmerz eingeprägt.
Was haben Sie wohl gelitten u. was leiden Sie jetzt!
Ach, in der Stunde hätte ich <nicht> Sie wohl nicht trösten können, denn wer da mit erbärmlichen Trost kommen kann, der fühlt den großen Schmerz nicht, aber jetzt möchte ich bei Ihnen |2| sein, damit ich Sie an <M>manches Andre erinnern könnte. Ich schicke den Brief nicht an Joachim sondern Ihnen gleich zurück, Sie haben über die letzten Zeilen die ersten Seiten vergessen u. den ganzen tröstenden Brief vom Arzt übersehen.
Im ersten Augenblick des Schmerzes ging’s mir auch so, doch jetzt genieße ich, u. thun Sie es auch, den ganzen lieben Brief; Ich denke daran, wie oft Hr. Sch. Todesahnung hatte, wie oft Er Sie damit geängstigt; Schon das Requiem meinte er, wie Mozart für sich geschrieben zu haben, |3| Sie erzählten mir selbst, wie oft er während seiner Krankheit ähnliche Angst gehabt.
Jetzt werden Sie das Alles viel mehr bedenken können u. werden Ihnen nur die Worte traurig aussehen.
Schickte ich Ihnen den Brief nicht, so würden Sie nicht Ruhe haben vor diesem traurigen Satz. Sie können ihn ja später dem lieben Joachim schicken. Wie hoch Ihr Mann mich durch die Widmung, grade dieses Stückes erfreut, das wissen Sie wohl. Das u. die Violinfantasie in a moll sind mir die liebsten Seiner Concerte. Wie stolz kann ich auf |4| das erste Werk sein, das mir gewidmet, möchte das 2te im Druck die Heinrich-Ouverture sein!
Jetzt muß ich Ihnen noch schreiben, wie sehr mich Ihr Brief an Robert gerührt hat. So verständig u. so warm zugleich, das ist wohl Wenigen möglich. Grade über das, was Sie in <Ihre> Seinem Brief so sehr betrübt hat, gehen Sie so ruhig u. schön weg[,] der Brief muß ihn beruhigen u. erquicken.
Ich glaube nicht, daß der „Anfall von Aengstlichkeit“ (nur Ihr Mann nennt ihn „Krampfanfall“) bedeutend war; daß solche Anfälle wohl nach |5| längerer Zeit einmal (u. schwächer) wiederkehren konnten, durften wir schon erwarten.
Es darf Sie nur in den ersten Tagen so sehr aufregen u. betrüben, jetzt sind Sie wieder viel ruhiger u. hoffnungsvoller, nicht wahr, meine Liebe?
Morgen (Dienstag) gehe ich nach Bonn, freilich muß ich Ihnen offen sagen, daß ich durchaus nicht hoffe, Ihn sehen zu können; das einzige Mittel, das ich versuchen werde, doch vielleicht sehr mit Unrecht, ist, daß ich den Aerzten nicht erzähle, wie oft Hr. Sch. schon Sie mit Todesahnungen geängstigt.
|6| Ich möchte Ihm zu gern Ihr Bild geben können. Schreiben Sie aber doch ┌ja┐ den Ärzten (später) daß ┌Er┐ derlei Aussprüche schon früher (so beim Requiem) that. <D> Mittwoch früh werde ich Ihnen dann wohl Etwas schreiben können. Nur in der Hoffnung, nur deshalb gehe ich nach Bonn. Erwarten Sie auch nicht mehr; auch den versprochnen Brief v. Ihrem Mann nicht zu bald, Sie wissen, wie oft das täuscht.
Die letzte Beilage Ihres Briefes war sehr nöthig, doch mache ich mir sehr viel Kummer u. Vorwürfe über – das Alles.
Seien Sie recht herzlich gegrüßt, gebe Gott, daß ich Ihnen am Mittwoch recht viel Schönes schreiben kann. Bis dahin leben Sie wohl
Ihr
Johannes
Ddf. d. 17ten Jan. 55.
Die liebe Bertha, Frl. Leser und Jungé, lassen wie ich grüßen u. wünschen.

  Absender: Brahms, Johannes (246)
  Absendeort: Düsseldorf
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
Empfangsort: Amsterdam
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
285ff.

  Standort/Quelle:*) D-B: Mus. Nachl. K. Schumann 7,26
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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