23.01.2024

Briefe



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ID: 22563
Geschrieben am: Freitag 24.08.1855
 

Freitag.
Theure Clara!
Von dieser Nacht weiß ich zu erzählen, ich vergeße sie im Leben nicht.
Es ist Alles gut abgegangen, ich kann von Anfang erzählen.
Gegen 11 Uhr kamen wir von Frl. Leser, es war sehr schwül, wie den ganzen Tag. Der Mond schien, es war herrliches Wetter. Ich hatte mein Bett grade Gestern umstellen lassen u. lag mit dem Kopf zum Fenster. Ich las sehr lange noch, gegen 2 Uhr wachte ich jedoch mit Schrecken auf, es war das |2| furchtbarste Donnerwetter.
Es sah aus, als ob die ganze Stadt brannte, dazu geschahen die furchtbarsten Schläge; Ein Hagelschlag zertrümmerte meine Fenster, der Wind heulte durchs ganze Haus. Ich fuhr mit Entsetzen in die dunkle Ecke des Bettes u. glaubte es sei Erdbeben oder Welt-Untergang. Ein Schlag kam dann als ob die Erde zusammenbräche.
Bertha kam schreiend in die Kammer u. bat mich hinüber, weil sie vor Angst vergingen. Gretchen hatte zufällig unten geschlafen, die beiden rutschten auf den Knieen schreiend herum u. glaubten der jüngste Tag sei da.
|3| Die beiden Jungen rutschten auch in der Stube herum.
Ich nahm die dann in meinen Schooß u. ließ sie die Augen zumachen. Felix schlief fest u. Eugenie war ruhig.
Ich kann Ihnen gar nicht beschreiben wie über mächtig das Wetter war.
Nach einer Stunde wurde es ruhiger, ich machte Licht u. wir besahen die Fenster u. machten die Laden vor, die Scherben von vielen lagen schon auf der Erde. Ich ging wieder ins Bett, schlafen konnte ich natürlich nicht, grade aus beiden Fenstern sahe<n> ich die beiden Gewitter, <wie> brennende Wolken lagen da, aus denen dann nach allen Seiten die Blitze herausfuhren.
|4| Der Donner rollte immerwährend. Es dauerte nicht lang, da war ein eben so starker Hagelschlag u. Blitzen wieder da. Ich sprang aus dem Bett, verschloß jetzt alle Thüren, die immer erschütterten von den Stößen. Dann machte ich Licht an u. ging wieder in die Kinderstube.
Die Schloßen fielen, als ob mit Knütteln an die Fenster geschlagen würde, die Scheiben fielen immer ins Zimmer, das Wasser stand allenthalben.
Eine gute Stunde hielt wieder das riesige Toben an, nie konnte man solche Wetter sich nur in Gedanken vorstellen. Wie Kinderspiel sind andre Gewitter dagegen.
|5| Es ließ dann allmählig nach gegen Morgen. 35 Scheiben sind zertrümmert, die nach dem Schwanenmarkte lagen geschützter.
In meinem Zimmer sind alle nach der Poststraße entzwei, die Scherben lagen bis zum Bett. Wie mir zu Muth war, kann ich gar nicht sagen, ich vergesse es nie. Die ganze Nacht dachte ich an Sie, u. mit Schrecken daran, daß es Ihnen in der Fremde begegnen könnte.
Ein andres Mal, sollte überhaupt nur ein Gewitter sich wiederholen, werde ich mit Allen in die Küche nach Unten gehen. Vertrauen Sie überhaupt meiner Ruhe viel, die mir dann recht kommt, grade wenn ich Andre wie Bertha sehe.
Ich werde sehr vorsichtig sein, immer dachte ich nur an die Kinder u. behielt |6| sie in den Augen. Man konnte nicht zur Stubenthür hinaus. Mir wenigstens war es unmöglich.
Gegen Morgen zogen noch schwere Wolken vorüber. Doch ist es Heute schwüler wie Gestern.
Den Morgen wurde es immer friedlicher dann kam Ihr lieber, lieber Brief u. Alles war wieder heiter.
In der ganzen Stadt sind fast keine Scheiben an der Windseite heil geblieben. In der Caserne am Rhein keine. Geisler<n> sind in den versch. Häusern über 700 eingeschlagen.
Die Schwüle ist furchtbar ermüdend, dazu gar kein Schlaf u. eine Aufregung wie ich sie nie hatte, ich kann Ihnen nicht so viel schreiben als ich möchte.
|7| Morgen schreibe ich Ihnen mehr, es geht nicht mehr jetzt.
Sein Sie mir nicht gram um meinen gestrigen Brief; Sehen auch Sie in Allem den Grund in meiner Liebe zu Ihnen wie ich’s mit den Ihren thun soll.
Wollen Sie das? Bleiben Sie mir gut, ich werde wohl einmal besser u. es mehr verdienen.
Mit dem herzlichsten Gruß
Ihr
Johannes.

  Absender: Brahms, Johannes (246)
  Absendeort: Düsseldorf
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
Empfangsort: Düsternbrook
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
397ff.

  Standort/Quelle:*) D-B: Mus. Nachl. K. Schumann 7,52
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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