23.01.2024

Briefe



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ID: 22580
Geschrieben am: Sonntag 25.11.1855
 

Liebe Clara,
Ihr Brief gestern kam mir zu spät, ich konnte nicht mehr nach Berlin schreiben, doch haben Sie Sonnabend ja jedenfalls meinen Brief bekommen?
Wie ist der Ihre lieb u. schön, ich habe ihn vor mir liegen u. mag gar nicht antworten, ich schriebe ihn lieber ab!
Recht betrübt ist es, weshalb Sie aus Berlin gehen, es machte auch mein Benehmen beim 2ten Mal recht gezwungen.
|2| Nun will ich Ihnen denn zuerst schreiben, daß Gestern Alles gut ging; auch in der 2ten Probe.
Ich hatte bedeutenden Beifall, für Hbg ganz enthusiastischen. –
Ich habe ganz mit aller Besonnenheit feurig gespielt. Es ging schon ungleich besser als in Bremen.
Das Programm will ich Ihnen hersetzen:
1) Sinfonie v. Mendelssohn in a moll, wo mich das Scherzo sehr entzückte, das Andante jedoch langweilte. Der 1te Satz gefiel mir sehr, der letzte weniger.
2) Arie v. Mozart v. Frau Guhrau gesungen mit Orchester
Zu meiner Wonne wurde sie mit |3| 2 Bassetthörnern begleitet, die man mühsam aufgefunden hatte.
Ich finde, kein Instrument schmiegt sich so der menschl. Stimme an wie ein Bassetthorn, dessen Ton fast Mittelding zwischen Cello, (Fagott) u. Clarinette ist.
Otten ist immer geneigt, zu langsam zu werden, was dieser Arie auch zu Schaden kam. Sie war wunderschön.
Dann kam eine Suite von Bach für Orchester (3 Trompeten) aus der die Ouvertüre, eine Arie, Gavotte u. Gigue gemacht wurden. Das war das Schönste, wie das klingt! oder besser, klingen kann u. soll! Da kann ich Ihnen nichts über schreiben, ich möchte die Partitur mit Ihnen durchspielen. |4| Dann kam’s Es dur-Concert, recht schwungvoll ging’s.
Fr. Guhrau sang das Veilchen u. ein Lied v. Marschner, ich begleitete u. führte sie auch, damit ich’s später bei Chiarina einmal könnte.
Dann spielte ich: Canon in h moll von Robert u. auf Ottens u. Aller dringend Verlangen den Marsch von Schubert. Beides <sprach der> hatte gleichen Beifall, ganz bedeutenden.
Die Euryanthen-Ouv. schloß.
Der Carnaval wäre zu lang gewesen, deshalb mußt ich ihn weglassen.
Den spielte ich gern einmal.
|5| Frau Guhrau hat mir merkwürdig besser gefallen, als früher. <D>Sie ist entschieden anders geworden u. Manchem dazu kommt dann die Theilnahme für ihr wirkliches trauriges Schicksal. Sie erzählte mit Rührung von ihrem Beisammensein mit Ihnen dann von ihrer kurzen Ehe, wohin sie jetzt blickt ist es oede.
Sie sang recht schön im Concert, besonders das Veilchen.
Soll ich Ihnen die Paritur des Es dur Concerts schicken? ich kann sie mir von Otten leihen, schreiben Sie mirs, bitte, auch die G dur-Partitur habe ich.
Wie ich mich über das Concert in Berlin gefreut habe! U. über die H-Ouv etc.
|6| In der ┌1ten┐ Probe spielte Otten auch die Faust-Ouv. v. Wagner, die mir entschieden nicht gefiel, ich habe ihm sehr gerathen zu überlegen, ob Er durchaus die Ehre der 1ten Aufführung in Hbg. haben will.
Sie wissen, wir sprachen einmal darüber, ob man im Bach Nachschläge hinter Triller machen müsse; ich sagte Ihnen, das widerstrebe meinem Gefühl zu sehr. Jetzt will ich Ihnen ein Kapitel aus meinem Ph. Em. Bach abschreiben, das Sie <eigentlich> bestimmen muß da er jedenfalls der beste Lehrer sonderlich für seines Vaters Werke ist.
2tes Hauptstück, 3te Abth. §. 13.
Der Triller über einer Note, |5| welche etwas lang ist, sie mag hinauf od. herunter gehen, hat allezeit einen Nachschlag. Wenn nach der Note mit dem tr. ein Sprung folgt, so findet der Nachschlag auch statt.
etc. auch bei punctirten Noten, etc. Ein Triller ohne folgende Noten, z. E. am Ende, über einer Fermate u. s. w. hat allezeit einen Nachschlag.
§. 14. Punctirte Noten, worauf eine kurze <Note> im Hinaufgehen folgt, leiden auch tr. mit dem Nachschlage.
Später: daß der Nachschlage eben so geschwind wie der tr. sein muß: Ueberhaupt müssen wir den Bach gründlich zusammen lesen!
|6| Die Quittungen u. Senffs Rechnung lege ich Ihnen bei. Wenn Sie es gelegentlich besorgen könnten, wär mir’s lieb, das Geld für Senff schicke ich mit Nächstem, ich habe nicht einzelne Thaler.
Nun leben Sie wohl, meine allertheuerste Clara, herzlich küsse ich Sie – ach ich möchte es so gern können!
Apropos, Frl. v. Meysenbug hat mir einen sehr exaltirten Brief geschrieben, ich soll auch kommen, nun rathen Sie mir’s doch was ich thun soll, ich muß wohl bald hin damit wir zugleich in Ddf. od. in Minden sein können? Nach Hbg. kommen Sie wohl keinenfalls?
Tausend Grüße von Allen u. vor Allem von mir
Ihrem
Johannes.
Ich habe eine Sonate für 2 Klaviere von W. Friedemann Bach (geschrieben) gekauft, die gewiß sehr selten ist u. Andres!!!
Auf Frau Schröder bin ich äußerst begierig, ich höre für mein Leben gern schön singen, gehe jedenfalls hin!

  Absender: Brahms, Johannes (246)
Absendeort: Hamburg
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
Empfangsort: Leipzig
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
428-433

  Standort/Quelle:*) D-B: Mus. Nachl. K. Schumann 7,71
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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