23.01.2024

Briefe



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ID: 22584
Geschrieben am: Donnerstag 06.12.1855
 

Donnerstag Dec. 6.
Liebe Clara,
Könnt’ ich doch einmal allein u. ungestört sitzen u. an Sie schreiben, wäre ich doch in Düsseldorf u. säße vor Ihrem Schreibtisch.
Den innigsten Gruß schicke ich Ihnen nur mit, Neues erzählen kann ich nicht. Das ist alt, daß ich noch immer nicht entschlossen bin abzureisen. Am liebsten ging ich gleich nach Ddf. Und könnte |2| ich nur ohne Bedenken Göttingen u. Detmold rechts liegen lassen so <thät> reiste ich gleich Morgen.
Das Angenehmste von hier zu erzählen wäre von meinen Eltern etc. die so unendlich lieb sind u. von meinen Büchern, die doch noch täglich anwachsen. Gestern schenkte <E> mir eine Dame Uhland’s Gedichte, die ich mir lange wünschte u. wofür ich gern all’ meine andren Lyriker weggegeben hätte.
Daß ich Beethoven’s Handschrift habe erzählte ich Ihnen auch, daß ich ┌von┐ einer Suite v. Bach die älteste |3| Ausgabe (In Verlegung des Autoris) habe? Auch ein Werk von Mattheson u. wie viel von Bach u. s. Söhnen!
Für Sie, für M. u. El. u. für Bertha habe ich kleine Bücher, für die Jungen habe ich mir eines gekauft, in dem Kinderspiele stehn.
Mutter packt die Partitur ein, viel abgeschrieben habe ich nicht.
Und Sie spielen die B dur Sonate zum ersten Mal öffentlich?
Wie freue ich mich darüber, ich möchte da sein – wie viel lieber höre ich’s aber doch wieder in Ihrem Zimmer!
|4| Desto mehr Bücher ich habe, desto mehr merke ich wie viel lieber Einem ein Buch aus lieber Hand wird, das Beste möchte ich immer von Ihnen haben, ich habe ja auch fast alles Beste von Ihnen. Nur Beethoven u. Shakespeare hatte ich früher mir gekauft, dann schenkten Sie mir wohl das Nächste schon. <Das> Auf die Beiden dürfte auch kein Jüngling lange warten, um mehr braucht man dann nicht mehr schnell zu laufen, die ganze Welt hat man mit den Beiden.
Heute früh spielte ich die Heinrich Ouv. mit Otten, ziemlich, ich dachte heftig an Sie u. sah <Ihr>das schöne Medaillon |5| heftig an, das neben mir an der Wand hing.
Von solchem, nur an sich denken habe ich bis jetzt keinen Begriff gehabt, als ich bei Otten anstaune.
Wenn ich oft das Gespräch auf Andres führen möchte u. vom Nord- od. Südpol einen Gegenstand dazu herhole, so sehen wir ihn in 2 Min. nur in seinem Verhältniß zu Otten.
Ich erstaune immer, wie schnell er das Entfernteste auf sich beziehen kann.
Dann kennen Sie seine Leidenschaft, immer zu klimpern, d. h. vorzuklimpern Spielt aus allen möglichen Partituren kleine Sätzchen, leider aber merkte |6| ich bald, daß er nur aus Partituren spielte, die er auswendig weiß, von fremden bringt er nichts heraus. Müßte ich hier bleiben, könnte ich ihn unmöglich besuchen
NB: Gestern war ┌ein Concert unter┐ Grädeners Leitung. Die Genoveva-Ouv. eröffnete. Sie ging nur mäßig. Dann aber interessirte mich lebhaft ein fugierter Choral von Grädener. Ich schrieb Ihnen früher davon – in Bach’s Manier. Solche Arbeiten sind jetzt selten genug u. sind schon an sich beachtung<s>werth, gar, wenn sie so geschickt u. feurig gemacht sind.
Manche Eintritte machten sich prächtig.
Der „Lobgesang“ von Mendelssohn langweilte mich fürchterlich, er solls den Sonnabend nicht wieder.
Tausend Grüße u. Küsse meiner geliebtesten Clara
Johannes.
Alle grüßen herzlich, ich zumeist.
NB: Wollen Sie das Quintett mit Jemand spielen, empfehle ich Ihnen Carl von Holten Schüler des Conservatoriums.

  Absender: Brahms, Johannes (246)
  Absendeort: Hamburg
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
Empfangsort: Leipzig
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
439-442

  Standort/Quelle:*) D-B: Mus. Nachl. K. Schumann 7,73
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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