23.01.2024

Briefe



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ID: 22586
Geschrieben am: Montag 10.12.1855
 

Montag d. 10ten Dec. 55.
Herzliebe Clara,
Recht freundlichen guten Morgen soll dieser Brief Ihnen nur sagen, lieber wär’s mir, er könnte Ihnen nach der schlimmen Fahrt noch gute Nacht wünschen.
Ich werde Sie keinen Augenblick Heute vergessen, immer sehe ich Sie im Geiste am Eisenbahnfenster sitzen u. trübe hinaussehen.
Werden Sie nicht zu viel Heute weinen?
|2| Gestern hätten Sie mich sehen sollen, so ingrimmig u. verzweifelt zuletzt!
Wir spielten Trio bei Otten, Jaell zuerst das G moll von Rubinstein das so <abscheulich> ist wie seine andern Sachen. Hier unbedeutend, hier abscheulich auch hier wohl mal geistreich.
Dann spielte ich das 3te Ihres Mannes, das ungeheuren Jubel erregte; was das Rubinsteinsche nicht that, trotz Jaell’s brillantem Spiel u. aller mögl. Effecte. Dann spielte J. das b moll Scherzo v. Chopin u. ich das F von Bach.
Nun aßen J. u. ich bei Grädener mir wurde der Weinreisende immer |3| mehr zu wider.
Dann quäkte er auf Gr. kleinem Klavier dessen Sachen, dann Listzt’sche daß uns Allen die Haare zu Berge standen.
Nun hatten ihm schon Künstler u. Publikum sehr Schlechtes über R. gesagt, jetzt aber ging’s über L. her.
Mir war der Kopf ganz wirr, ich setzte mich ganz ernsthaft hin, u. spielte in H. u. B. zugleich, ganz wirblicht waren wir Alle, nur Jaell nicht.
Nun sehnte ich mich den ganzen Tag nur eine Stunde im Hause sitzen zu können. Wie viel Mühe kostete das, aber wie war ich selig, einmal vor 10 Uhr im Hause zu sitzen. Ganz aufgelöst in stiller Seligkeit.
|4| Nun habe ich Allen gesagt, ich reise Morgen, glaube aber nicht daß ich’s thue aber Ruhn will ich denn. Den ganzen Tag einmal haben, u. Jaell lasse<sahe> ich Heute nach Hannover reisen.
Im Concert Sonnabend spielte er sehr gut, er spielt mit tüchtiger Bravour, aber Schund! ich ging während s. Solostücks a. d. Tannhäuser hinaus, kam aber hinein als er eben auf Verlangen noch wieder spielte eine abscheuliche variirte ital. Melodie.
Ich thue nicht Recht, Ihnen solch Zeug vorzuschwatzen, aber ich thue es mit dem seligen Gefühl des Ueberstandenhaben.
Ich bitte Sie nur hierher zu schreiben! Tausend herzliche Grüße meiner Clara!
Dein
Johannes.
Ich habe nämlich große Eile u. mich schon verspätet, doch will ich diesen Brief für Dich noch besorgen. Alle grüßen, wie thut es mir wohl, diese Zeilen geschrieben zu haben, d. h. eigentlich, so Deiner gedacht zu haben.

  Absender: Brahms, Johannes (246)
  Absendeort: Hamburg
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort: Rostock
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
445ff.

  Standort/Quelle:*) D-B: Mus. Nachl. K. Schumann 7,76
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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