23.01.2024

Briefe



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ID: 22590
Geschrieben am: Dienstag 05.02.1856
 

Dienstag Abend.
Meine liebe Clara,
Recht Wichtiges möchte ich Ihnen schreiben. Schon oft wollte ich, einmal habe ich’s wieder zerrissen weil ich glaubte es rege Sie unnütz auf. Möge es das nun recht wenig, überdenken Sie Alles so ruhig wie möglich.
Das Anerbieten von Leipzig geht nämlich Sie weniger an, als Ihren Mann. Ihre L. Freunde wollen<nämlich> nicht länger zugeben, daß Sie so mühselig das Geld für die Krankheit des Lieben erarbeiten. David, Härtel, Vogt, Preusser etc. |2| wollen durchaus jährlich (für das vergangene Jahr zuerst) 7–800 rh bezahlen, eben die Krankheitkosten. Das ist keine Gabe die man Ihnen bietet, sondern ein Dank- oder Liebes-Opfer das man einem verehrten Künstler bringt.
Als ich in L. war, war die Sache grade an einem Sonntagmorgen abgemacht.
Schon ein Jahr lang hat man mit größtem Eifer darüber debattirt u. über die vielen Arten wie man’s schön u. anständig darbringen kann.
Wahrscheinlich streitet man jetzt noch über die Form – nach guter deutscher Weise!
Wenn Sie nun (abschlagen können |3| Sie’s nicht) auf diese Weise 7–800 rh jährlich hätten, brauchten Sie dann die lebensgefährliche Tour nach England zu machen?
Ich besinne mich sehr, Ihnen dies zu schreiben, Sie wissen ja wie ungeheuer wenig ich Leuten so Edles u. Nobles zutraue. Aber würde nun die Reise dadurch fraglich, dann möchte ich vielleicht an David schreiben (in meinem Namen) damit Sie Sichres erfahren u. womöglich gleich Alles. Denn<mit> von schönen Vorhaben kriegt man keinen Groschen. Und leider wär’s nicht das erste Mal beim schönen Vorhaben geblieben. Schreiben Sie mir ob Sie auch dann noch so viel Geld brauchten oder das Nöthige auf der Rückreise verdienen könnten.
|4| Glauben Sie nicht, <E>es wäre schon Alles in Ordnung, das Geld da oder überhaupt in Aussicht, vielleicht bleibt’s bei den schönen Reden. Die sind ja schon, wenn sie gedruckt werden, den Leuten rührend genug. Betrachten Sie es wie eine andre Concertreise wenn ich deshalb an David schreibe.
Uebrigens sind nur 6–7 Männer an der Sache betheiligt u. weiß Niemand sonst davon.
Sie kennen nun Ihre L. Freunde genauer u. Ihre Verhältniße, schreiben Sie mir doch was Sie von der ganzen Sache halten! Nur laßen Sie Sich nicht zu sehr aufregen dadurch ob <S>sie das werth ist, ist ja sehr die Frage. Betrachten Sie’s als einen Versuch |5| der noch in Frage steht wie der Erfolg der englischen Reise.
Ich würde an David schreiben, Sie hätten eben große Reisen vor, wären nicht in der Verfassung so leicht zu überstehen, er möchte mir aber wo möglich Ihnen gleich von der Sache schreiben etc.
Nun noch einiges Heitrere, liebe Clara, ganz trüb wird man bei diesen Sachen.
Heute Abend hat mir der junge Otten Paul u. Virginie, prachtvoll gebunden (die schöne Ausgabe) geschenkt.
Des Einbands wegen möchte ich mit Ihnen tauschen, vielleicht geht’s, (der resp. Inschriften wegen![)]
|6| Ich habe schon manchmal in Leipzig u. hier darum gehandelt, denn ich wünschte es mir sehr.
Zu Ottens Geburttag (Freitag) will ich ihm mit Böie Violin-Son. von Em. Phil. Bach vorspielen.
Ich habe selbst einige u. Sie sollen in Ddf, besonders von einer h moll schon recht entzückt werden.
Ich weiß nicht, ob sie überhaupt gedruckt.
Frau Guhrau singt (jetzt?) doch entsetzlich kühl. Neulich im Concert [(]wo ich übrigens wirklich erstaunlich Furore gemacht!) ein langweiliges süßes Lied von Jos. Lang. Ich schloß aber ganz ruhig nach dem ersten Vers u. sah <S>sie wieder an, als sie mich u. |7| frug, wo denn das <A>andre Lied wär?
Den Brief vom Arzt lege ich wieder bei, er klingt doch tröstlicher, wenn’s nur so fort geht. Mir gehen jetzt Wasser-Heilanstalten sehr im Kopfe herum; Wir müssen wirklich ernstlich darüber sprechen u. uns danach umsehen.
Ich habe viel Vertrauen zur Heilkraft des Wassers u. der freien Natur! Bitte mir strenge aus, sollte ich krank werden u. Sie wären dabei, daß Sie mich gleich zu einem Homöopathen schicken! Schreiben Sie mir doch ja ob Sie denn an Joachim einmal geschrieben, sonst wüßte er doch Ihre Adresse nicht?
Ich habe nach Göttingen geschrieben.
|8| Nun geliebte Clara schreiben Sie mir über das Leipz. Project, was Sie davon halten u. ob ich was thun soll, hauptsächlich ob es Einfluß auf Ihren Reiseplan haben würde!
Und lassen Sie Sich’s nicht zu arg den Kopf (den schönen) beschweren.
Die Var. haben Ihnen wohl nicht gefallen? Ich merke jetzt, wie langsam die Posten gehen, wie lange bleibt noch mein Urtheil aus.
Lassen Sie Sich küssen. Immer denke ich an Dich in alter Liebe, in immer neuer u. größerer.
Behalte mich recht lieb
Deinen treuen Johannes.

  Absender: Brahms, Johannes (246)
  Absendeort: Hamburg
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
460-464

  Standort/Quelle:*) D-B: Mus. Nachl. K. Schumann 7,81
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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