23.01.2024

Briefe



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ID: 22592
Geschrieben am: Freitag 22.02.1856
 

Freitag.
Meine liebe Clara,
Nun sitze ich also endlich wieder in meinem, kleinen Zimmer beim Nachmittag-Kaffe. Ich habe mir erst Alles besehen um Ihnen von Allem schreiben zu können.
Meinen Brief a. Göttingen bekam Bertha Heute als ich schon da war. Die beiden Jungen sah ich zuerst, sie jauchzten ordentlich mir entgegen. Bertha kam vom Boden, sie erschrak fast. Die Kinder sehn alle ganz prächtig aus, gesund u. lustig. Und lesen u. rechnen können sie jetzt! Lieder singen sie gleich dutzendweis, dafür sorgt Bertha doch nett.
Meine Bibliothek habe ich dann beschaut u. neu ordnen müssen weil der Anwachs wieder bedeutend war.
An Geld habe ich ungefähr 200 rh, die 96 von G. mußte ich durchaus behalten. J. wollte nichts davon.
|2| Fr. Leser habe ich dann besucht. Agnes war natürlich da. Alle soweit munter u. wohl.
Wenn die Mädchen hier durchkommen, werd ich ihnen die Weltgeschichte mitgeben die ich ihnen zu Weihnacht geben wollte.
Ich habe Heute mit den Kindern gegessen, große Freude habe ich über sie; jetzt freut’s mich erst recht daß ich <I>ihnen nichts mitgebracht, wenn sie so artig sind, thut das erst recht gut.
Nach meinem Gefühl müßen Kinder über die mitgebrachten Geschenke das Wiedersehn vergeßen etc. etc. Durchaus!
In Hannover bekam ich den letzten Abend noch einen Brief von Ihnen, liebe Clara, auch J. Der freute mich recht.
Ich habe J. doch von Ihren Einnahmen erzählt.
Wie schön denke ich mir’s wenn wir Beide recht rüstig fortschreiten u. tüchtige, große Musiker werden.
Jeder von uns stellt den Andern über sich, was ist natürlicher als daß wir uns <öfter> zanken müßen, so lange wir mit uns selbst zanken. Ich kann aber nicht umhin, J’s grüblerischem u. so oft mißtrauischem Character viel Schuld beizulegen.
|3| Es gibt doch einmal für mich keinen zweiten wirklich gebornen Musiker unter den Jüngern. Einzelne Werke kann ich da nicht zählen, der ganze Mensch soll musikalisch sein, soll Musik athmen.
Was kann aus J. werden, ich komme mir oft wie vergessen u. verloren vor wenn ich mir ihn erwachsen denke. Daß er ebenso von mir denkt, begreife ich nicht u. doch ist’s mir oft klar. Unangenehm ist mir der docirende Ton in den J. so leicht verfällt wobei er dann Liszts überhebenden Ton <zu> unwillkürlich annimmt. Vor Allem aber sein Grübeln, Selbst- u. Andre-beobachten u. Mißtrauen. Niemandem wäre wohl strengere Arbeit (z. B. contrapunktische) nützlicher als ihm.
Antwortend auf Ihren Brief zwei kleine Notizen:
1) J. meinte durchaus nicht, Sie wollten Ihretwegen ihn überreden nach Wien ┌zu gehn┐, für ihn wäre aber der einzige Grund der gewesen, Ihnen nützlich sein zu können.
2) Ich habe durchaus nie sehr ruhig fragen können, ob Sie direct von Wien nach Engl. gingen. Ich bezog das wohl nur auf eine gar zu kurze Zeit.
|4| Kennen Sie Ferdinand Schubert in Wien nicht? Sie schrieben mir nie davon. Haben Sie Sich nicht einmal den ganzen Schubert u. den Nachlaß angesehen? Der Bruder soll in einem Zimmer alles geordnet haben.
Wie hat’s mich gefreut daß Sie von Schubert gespielt haben, des geliebten Namens wegen muß man es schon thun u. wenn gar nichts paßte (öffentlich). Wäre ich ein einigermaßen respectirter u.┌ zu respectirender!┐ Pianist, hätte ich schon ┌längst┐ eine Sonate (die in G z. B.) öffentlich gespielt. Die muß ja die Leute entzücken wenn sie schön gespielt wird.
Den Abend nach dem Concert in G. waren wir bei der Dirikle(?) Ich höchst ungern, denn eine wahre Angst habe ich vor allem Cliquen-Wesen. J. spielte natürlich das Concert, wobei denn die Frau sehr weinte. Alle Zimmer hängen voll Bilder u. Bildsäulen des Bruders. Sogar <der> ┌vom┐ Sterbenden hing da eine Zeichnung, u. es war doch ihr Bruder. Ich hätte es in mein geheimstes Schubfach gelegt. Von ihren Kindern existiren Bilder aus jedem Lebensjahre. Ihre Machwerke sind ihnen die höchsten.
Ich mag so gern Leute, denen das was sie machen nicht Alles gar zu wichtig vorkommt.
|5| Ich spielte die chrom. Fantasie, „die Felix auch so gern spielte“ – u. die G dur Fantasie v. Schubert die sie aber nicht kannte, auch nicht gar zu sehr zu interressiren schien.
Grimm u. Pinchen sind doch ein recht passendes Paar. Man muß sich doch immer freuen über sie, wenn sie sich auch so übermäßig viel beküßen. Ich könnte das nicht in Gegenwart Andrer u. gar wenn so 8 Arbeiter im Zimmer sind. Grimm zeigte uns einen hübschen kleinen Canon für Piano den er für seine „Wonne“ gemacht hatte.
Wie freue ich mich immer über das viele Glück da<ß>s Sie auf dieser Reise begleitet, das wird Sie auch stark zu der englischen.
Dagegen habe ich mich sehr erschreckt über den Antrag Ihres Vaters, ruhig kann ich drüber nicht eher werden bis er wieder von Ihnen ist. Nur ja nicht auf Weiteres als auf Zusammenwirken in Prag z. B. einlassen. Da fürchte ich stehn Ihnen unangenehme Stunden bevor. Doch freute mich wieder Ihr schönes Gefühl das Sie auch wohl richtig leiten wird.
|6| Den Brief vom Arzt vergaß ich bis jetzt beizulegen. Was ich übrigens von Wasser-Anstalten glaube, bleibt. Ob Hr. Schumann dazu Lust hat od. nicht, <spricht ja an> darf ja eigentlich nicht mitgelten.
Menschen, die einmal Wasser-Curen u. was dazu gehört, viel Bewegung in freier Luft etc. gebraucht haben die setzen die Lebensweise auch fort, es muß <I>ihnen zur Natur werden. Was giebt eine Cur in dieser Anstalt od auch z. B. durch Magnetismus für Sicherstellung für spätere Zeit? Das thut eben solche Cur u. nichts ist ja nöthiger für unsern Kranken.
Hier ist’s doch sehr, sehr einsam ohne Sie, Sie suche u. denke ich allenthalben. Kämen Sie doch bald, ich mag ┌<will>┐ aber jetzt <nicht> grade nicht Ihnen viel vorbitten, diese Reise ist so erträglich, als sie Ihnen nur werden kann, dessen will ich mich freuen.
Nun will ich auch endlich schließen, damit der Brief Heute auch noch weg kommt.
Tausend u. tausend Grüße von Ihrem
Johannes.
[Umschlag]
Der Frau
Clara Schumann
in
Pesth
(Ungarn)
Hôtel de l’Europe.

  Absender: Brahms, Johannes (246)
Absendeort: Düsseldorf
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort: Pest
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
468-473

  Standort/Quelle:*) D-B: Mus. Nachl. Schumann, K. 7,84
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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