23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 22625
Geschrieben am: Montag 01.01.1872
 

Cassel, den 1. Januar 1872.
Mein erster Brief im neuen Jahr mit der ersten deutschen Reichspostmarke ist an Dich, lieber Johannes. Du hättest eigentlich meinen Gruß heute haben sollen (Du weißt, ich mag gern an gewissen Tagen halten), aber ich hatte vor Neujahr einige schwere Tage, die all mein Sinnen so in Anspruch nahmen, daß ich zu keiner Sammlung kam. Es betraf die Angelegenheit mit der Hochschule, die ich bis zwei Tage vor Neujahr abgetan glaubte, da ich mit mir längst abgeschlossen hatte; nun sollte ich aber an Joachim schreiben (er hatte mir Silvester als den letzten Termin zur Antwort bestimmt), und da kamen nun von verschiedenen Seiten, vor allem aber von Marien, die Vorstellungen, daß ich solch eine Sicherstellung für meine Zukunft doch nicht unbedingt von der Hand weisen solle, und wenigstens Bedingungen, wie sie mir angenehm wären, stellen solle, um mir später nicht doch ’mal Vorwürfe machen zu müssen. Besonders auch sprachen Bendemanns sehr dafür, eben auch wegen der Kinder, die dann doch noch ’mal ein „Zuhause“ bekämen, Ferdinand könnte dann mit uns wohnen, Felix seine Ferien immer bei uns sein, und so gäbe es der Vorteile noch manche. Ich schrieb also, ich wolle die Sache nicht ganz ablehnen, müsse aber folgende Bedingungen stellen:
1. 4 000 Tlr. Gehalt lebenslänglich und die 5 Monate Februar, März, Juli, August und September Urlaub.
2. Antritt nicht vor 1. Oktober.
3. Die Selbst-Wahl der Schüler meiner Klasse.
4. Völlige Freiheit, Engagements auswärts, wie in Berlin selbst, anzunehmen, vorausgesetzt, daß dadurch Stunden nicht ausfallen, sondern nur verlegt werden.
5. Schüler außer der Hochschule annehmen zu dürfen, wie es mir beliebt; und schließlich schrieb ich noch an Joachim, daß ich voraussetzte, daß, falls mir die Wirksamkeit nach dem ersten halben Jahre nicht behagte, ich zurücktreten könne, ohne irgend Einwände von seiten des Vorstandes; und ihm (Joachim) sagte ich noch, daß er überlegen möchte, ob wir unbeschadet unserer Freundschaft nebeneinander würden wirken können, denn unterordnen könnte man sich in meinem Alter nicht mehr. Mir ist in meinem Leben selten etwas so schwer geworden, als diesen Brief abzusenden. Es meinten alle, man werde nicht eingehen auf diese Bedingungen – ich möchte nicht übermütig sein, aber ich muß Dir doch gestehen, daß ich hoffe, man geht nicht darauf ein. Hätte ich doch ’mal ein Stündchen mit Dir darüber sprechen können! Ob Du nicht doch gerechtfertigt findest, daß ich so handelte im Hinblick auf die Kinder?
Da habe ich nun gleich ein Großes von mir gesprochen und hätte viel mehr Lust gehabt, gemütlich anderes zu plaudern. Wie viel denke ich jetzt an das Musikfest! Wenn Du dazu nach Düsseldorf kommst, da muß ich doch sehen, daß ich dabei sein kann. Eines möchte ich Dich aber bitten, sei konsequent, Dein Werk nicht zur Aufführung herzugeben, wenn man Dich nicht auffordert, es selbst zu dirigieren. Es ist zu wichtig, daß Du selbst dabei seiest, denn es wird dem Ganzen eine besondere Weihe noch geben, und es wird ganz anders aufgeführt werden; bist Du nicht da, so wird die Sache mit flüchtigen Proben abgetan, was man Dir gegenüber schon gar nicht wagen darf. Ich habe so Angst, daß schließlich Rubinstein Dich doch überredet, darum spreche ich so viel darum herum. Sage mir es doch ja gleich, wenn sich in der Sache etwas entscheidet – ich bin so sehr gespannt.
. . . . Meine Konzerte in Heidelberg, Karlsruhe sind ins Wasser gefallen – es läßt sich mit der Zeit nicht mehr einrichten, auch muß ich vor England noch 14 Tage bis 3 Wochen ruhig studieren in Düsseldorf. Hierher ging ich heute, um mein gegebenes Versprechen für das Orchester-Konzert zu erfüllen (es war mir ein großes Opfer, ich konnte mich aber nicht entschließen, die Leute im Stich zu lassen), und am 5. spiele ich im Museum in Frankfurt für das vor 14 Tagen abgesagte Konzert. Dann will ich auf einen Tag nach Heidelberg, um einige Erkundigungen für Felixens Unterkommen zu Ostern dort einzuziehen, vielleicht eine nette Familie zu finden, wo er ein Zimmer mieten könnte – und am 7. gehe ich zurück nach Düsseldorf zu Bendemanns. –
Die Reisen mit Frau Joachim sind beendet, sie geht mit ihrem Mann nach Königsberg, Danzig, dann er weiter nach Petersburg, sie zurück nach Berlin. Sie war eine sehr angenehme Kollegin, sang wunderschön, war immer aufgelegt, anspruchslos, Geschäftliches überließ ich ihr nicht, und so hatte ich nichts zu klagen.
. . . . Hast Du denn Dein Geld gut angelegt? Doch nicht in österreichischen Papieren? Ist Emil Stockhausen eigentlich gestorben? „Abfahren“, das kann man auf verschiedene Weise verstehen. Unser Weihnachtsfest war sehr still – wir hatten keinen Baum bei der Leser, ich mochte es nicht gern, es ist doch auch nur recht schön mit seinen Kindern! –
Eine Freude hatte ich aber: Ferdinand erhielt von Herrn Plaut, obgleich er erst 1/4 Jahr als Kommis dort, eine Zulage von 200 Tlrn., so daß er sich nun mit dem Weihnachtsgeschenk von 100 Tlr. jährlich auf 1 000 Tlr. steht. Was Du mir über ihn schriebst, hast Du gewiß recht, es ist aber recht schwer für die Mutter, sich so ganz außerhalb des eigenen Empfindens und Wünschens zu stellen, und um so mehr, wenn man es dennoch als Pflicht empfindet, nach seiner Überzeugung einzuwirken. Ich muß sehen, wie ich die Mittelstraße finde.
Hast Du denn vom Wagner-Fest in Mannheim gehört? Von dem Kuß, den Levi von ihm auf die Wange erhielt! (Allgeyer schrieb mir darüber – etwas humoristisch!) – Levi schrieb mir übrigens wundervoll über Dein Hallelujah!
Doch, ich muß schließen, soll eigentlich gar nicht schreiben, denn ich bin keineswegs befreit von den Schmerzen im Arm, und diktiere daher fast alles, fühle auch jetzt arges Reißen! Es ist mir aber doch wohl ums Herz, daß ich ’mal wieder und gerade zum Beginn des neuen Jahres mit Dir gemütlich plaudern konnte. Teile mir bald mit, wo Du hinziehst? wie’s mit Düsseldorf wird?
Betty grüße schönstens, ich bin aber eigentlich etwas böse auf sie. Da schreibt sie mir zum neuen Jahr, aber kein Wort von sich! Von so guten Freunden will man nicht nur die „compliments of the season“ (wie die Engländer sagen) haben. Die können einen gar nicht freuen, wenn man sonst gar nichts erfährt.
Marie sendet ihre besten Wünsche, und nun lebe wohl, lieber Johannes.
Im neuen wie dem alten Jahre von Herzen
Deine
Clara.
Der Dank für Deinen lieben Brief gehört nicht ins Postskriptum, ganz unterlassen möchte ich ihn aber nicht, hatte ich doch so herzliche Freude darüber. Ich möchte, es käme bald wieder so einer.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Kassel
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1196-1201

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



Wir verwenden Cookies, um Ihnen den bestmöglichen Service zu gewährleisten (Mehr Informationen).
Wenn Sie auf unserer Seite weitersurfen, stimmen Sie bitte der Cookie-Nutzung zu. Ich stimme zu.