23.01.2024

Briefe



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ID: 22634
Geschrieben am: Sonntag 11.10.1857
 

Sonntag früh
Meine Clara,
Wie schön hast Du mich Gestern Abend überrascht! Ich kam grade eine Stunde vor m. Singverein nach Hause, da fand ich Dein Paquet. Erst den herrlichen Brief, der so schönen Umfang hat u. dann das prächtige Geschenk!
Recht ist’s mir keinenfalls daß Du so viel Geld dafür ausgegeben, aber abgesehen davon hatte ich freilich die größte Freude. Es ist so reizend geschmackvoll, <u pr>auch praktisch u. erweckt so liebliche Ahnungen von gleichgebildeten Briefen wie der beiliegende. Tausend Dank.
|2| Für Deinen Brief habe noch mehr Dank. Deine geschriebenen Worte lesen sich als ob Dein Auge daraus hervorsähe u. mich anlächelte.
Liebe Clara Du mußt ernstlich darnach trachten u. dafür sorgen daß Deine trübe Stimmung nicht alles Maaß überschreite u. nicht ohne Aufhören sei.
Das Leben ist kostbar; gewaltig zerstört solche Geistesstimmung den Körper.
Rede Dir nicht ein daß Dir das Leben wenig werth sei. Das ist nicht wahr, das ist bei ganz wenig Menschen wahr.
Giebst Du Dich ganz solcher Stimmung hin so genießest Du auch frohere Zeiten nicht wie Du könntest. <Wie[?]>Je mehr Du strebst u. |3| Dich gewöhnst, trübere Zeiten gleichmüthiger u. ruhiger hinzubringen desto mehr genießest Du die frohere Zeit die immer folgt. Wozu hat denn der Mensch das himmlische Geschenk, die Hoffnung empfangen?
Und nicht einmal ängstlich zu hoffen brauchst Du, Du <ka> weißst daß angenehme Monate folgen auf Diese, wie auf jede unangenehme Zeit.
Nimm Dies nicht leicht, es ist sehr ernst. Der Körper u. die Seele wird verdorben durch solches Nachhängen einer trüben Stimmung, die man durchaus mehr bewältigen oder nicht aufkommen zu lassen braucht.
Es ist als ob man seinem Leib die ungesundesten Speisen zumuthen wollte, und<> sich damit trösten ┌ wollte┐ daß man im Sommer die Milchkur gebraucht. Der Körper mag sich für |4| kurze Zeit etwas erholen aber ist verdorben u. geht rasch zu Grunde.
<Soch> Solche ungesunde Seelenspeise wie der immerwährende Trübsinn verdirbt den Körper u. die Seele wie die ärgste Pest.
Du mußt Dich ernstlich ändern, meine liebste Clara. Nimm Dir jeden Morgen von Neuem ganz ernstlich u. einfach vor, den Tag u. alle Zeit gleichmüthiger (gleichmäßiger) u. froher <hinzub[?]>zu sein.
Leidenschaften gehören nicht zum Menschen als etwas Natürliches. Sie sind immer Ausnahme oder Auswüchse.
Bei wem sie das Maaß überschreiten der muß sich als Kranken betrachten u. durch Arznei für sein Leben u. seine Gesundheit sorgen.
|5| Ruhig in der Freude u. ruhig im Schmerz u. Kummer ist der schöne, wahrhafte Mensch. Leidenschaften müßen bald vergehn oder man muß sie vertreiben.
Betrachte Dich als Kranke, liebe Clara, als ernstlich Kranke u. sorge für Dich, nicht ängstlich, sondern ruhig u. immerwährend.
Verzeih mir dies Schwatzen aber ich kann nicht schreiben, ich habe nicht gelernt meine Gedanken zu ordnen u. auszusprechen.
Denk’s nur ernsthaft durch u. thue darnach, dann wird Alles besser werden u. Du wirst Dich immer glücklicher fühlen u. Alle die Dir gehören noch glücklicher machen durch Dich.
|6| Das Mozartsche Concert neulich ging ziemlich gut. Vorher machten sie die Ruy Blas Ouv. u. hernach die C moll Sinfonie von Spohr.
Gestern hatte ich Singverein. Ich fühle mich beim Einstudiren als ob ich es schon 25 Jahr gethan hätte!
Ein nicht unbedeutender Nutzen wird auch meiner Stimme <des> durch das laute Sprechen. Ich benutze diesen Vortheil wie jeder den ich erfassen kann.
Sie macht sich majestätisch meine Stimme. Wenn der Chor forte singt dann übe ich sie u. brülle dazwischen, eigentlich bloß meinetwegen u. zu meiner Uebung. Da nahmen wir denn auch das Zigeunerleben vor u. es wird gewiß reizend |7| gehen bald.
Wie kinderleicht sind solche Sachen gegen alte Kirchenmusik. Und mein Salve Regina ist noch leicht für solche.
Dies Stück würde Dir sehr gefallen. Ueber Rovetta kann ich Dir nicht viel sagen als daß er ungefähr 1640 gelebt hat. Beide Stücke gefallen den Leuten auch sehr u. sie geben sich die beste Mühe.
Das Zigeunerl. ist reizend u. klingt wunderschön.
Gestern früh mußte ich mit, Bargheer ┌den Fürsten┐ zum Singen begleiten, ich wünsche das grade nicht oft herbei.
Das Requiem werde ich baldigst u. genau durchsehen u. wieder schicken, wo möglich mit dem Quintett.
Für die übersandten Noten mein Dank.
Die Handschuhe sind trefflich! auch Dank.
|8| Ueber die Ordnung Deiner Noten läßt sich nicht gut schreiben. In einen Schrank zusammen müßen jedenfalls die Partituren.
Händel zusammen, Bach dabei u. zwar vollständig in 1, 2 Fächern, die große, die Peters’sche u. alle übrigen Ausgaben alle beisammen.
Die von Kuntsch geschriebenen Opern zus. Don Juan, Fidelio, Gluck u. bei diesen die ähnlichen<Noten> Partituren wie Marcello, Sachini, Cherubini, Rameau etc etc.
Dann moderne Opern wie Mangold, Hiller, Wagner zusammen. Und schließlich in demselben Schrank vielleicht sämmtliche Quartette u. Sinfonien u. Concertpartituren mit den übrigen kleineren zusammen. Von diesen letzteren habe ich z. B. schottische Lieder von Beethoven, Crucifixus von Lotti.
|9| Von Vogler hatte Dein Mann meines Wissens nichts Bedeutendes. Die berühmtesten Werke von ihm konnte ich auch noch mit dem besten Willen nicht kennen lernen. Es ist das besonders ein Requiem, in Partitur bei Schott erschienen. Ich weiß nicht, ob wir dafür schwärmen würden, aber es soll bedeutend sein.
Ich kann nicht mit Dir übereinstimmen über den Aufsatz von Debrois.
Was er über mich schreibt (als liebe Hauptperson) habe ich über alles Erwarten vernünftig gefunden ausgenommen einige rechte Dummheiten, wie z. B. daß er meint die H moll Var. sei nicht mit Absicht dem entsprechenden Stück Deines Mannes nachgeschrieben! Was doch klar auf der Hand liegt; U. dies besagte Stück ist das auf das fis moll |10| Thema folgende, folglich Alles ganz einfach.
Ueber Joachim ist ja blos Quatsch da. Ueberhaupt ist das Schlimme daß Debrois sich an manchen Stellen solch dilettantische Blöße giebt daß die Leipziger ihn fürchterlich hauen können.
Wer aber gegen diese Liszt-Clique schreiben will der muß klatschen.
Denn durch die allergemeinsten u. allerverwickelsten Persönlichkeiten u. Klatschereien halten diese Leute sich, die muß man aufdecken will man ihr Nest aufstören.
Das Vernageltste ist, das [sic] der kleine Debrois durchaus die Spitze des vollendeten Musikdoms sehen will.
Wer kann jemals sagen jetzt habe |11| etwas sein Ende erreicht was nie sein Ende hat. Die kleinen Leute haben ja hinter jedem Genie einen Schlußpunkt machen wollen. Hinter Mozart, wenn wir beim Vorletzten bleiben wollen.
Ueber Franz kann ich nichts Uebertriebenes im Debrois finden, Du hast doch die aus der n. Z. f. M. zitierten Stellen für s. Meinung gehalten?
Im Uebrigen ist es mir langweilig über so etwas zu schreiben. Könnte ich mehr als in den Bart brummen dann wär es mir nicht langweilig.
Diese kleinen Schmierraxe sind doch nichts wie Plänkler, sie halten etwas auf.
Nur ein schaffendes Genie kann in der Kunst überzeugen.
|12| Hogarth kaufe ja nicht. Schöne Kupferstiche sind ja die Hauptsache. Und die Fortsetzung ist sehr fraglich. Es ist zu spät Hogarth jetzt noch erklären zu wollen, wir werden wohl immer mit Lichtenberg’s Anfang zufrieden sein müssen.
Die Stiche finde ich vielleicht einmal billig u. schön, dann will ich sie kaufen.
Beschreibe mir Deine Wohnung nur bald überrascht kann ich immer noch werden.
Ich denke übrigens jeden u. jeglichen Tag an die Freude mit der ich Neujahr nach Hamburg fahren werde!
Dann jauchze ich ordentlich innerlich!
Sei herzlichst gegrüßt meine geliebte Clara u. lies noch einmal da capo bis zum Alternativo.
Grüße Woldemar.
Dein Johannes.
Gehe spazieren u. sieh aufmerksam u. liebevoll Woldemar’s Sachen durch.

  Absender: Brahms, Johannes (246)
  Absendeort: Detmold
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
Empfangsort: Berlin
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
530-537

  Standort/Quelle:*) D-B: Mus. Nachl. K. Schumann 7,97
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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