23.01.2024

Briefe



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ID: 22635
Geschrieben am: Samstag 12.04.1873
 

London, den 12. April 1873.
Lieber Johannes,
unsere Briefe hatten sich neulich gekreuzt – ich wollte Dir gleich nach Empfang des Deinigen schreiben, aber ich habe die Zeit über hier an Rheumatismus in Armen, Händen und Schultern gelitten, wie nie zuvor; mit der allergrößten Vorsicht nur gelang es mir, alle Engagements einhalten zu können, indem ich stets nur mit halber Stimme übte und gar nicht schrieb. Es gelang mir so, und stets sehr glücklich, das letztemal aber, vorigen Montag, konnte ich nur die Finger noch bewegen, die Arme aber nicht mehr aufheben, und habe die ganze Woche Umschläge gebraucht, jetzt mit Homöopathie angefangen, die gerade für solche Leiden ausgezeichnete Mittel haben soll. Erst wollte ich gleich nach Teplitz, aber dagegen sprach vor allem, daß ich auf dem Musikfest in Aachen spiele, und also gleich nach Gebrauch des Bades eine Anstrengung statt völliger Ruhe gehabt hätte. Ich gab es also auf und bleibe noch bis 29. April hier, gebe einige Stunden und am 26. eine Abschieds-Matinee.
In Düsseldorf will ich Bruchs Odysseus am 4. Mai hören, dann nach Baden – vielleicht zum letzten Male.
Das Logis in Berlin habe ich genommen, bin aber noch nicht einig mit mir, ob ich mein Haus jetzt verkaufe (d. h. vom Herbst ab) und alle Möbel mit mir nehme, oder ob ich nächsten Winter nur versuchsweise in Berlin bin und mein Haus noch behalte. Jedes hat sein Für und Wider. Die Sache macht mir viel traurige Stunden – ich hänge so sehr an Baden, obgleich ich den Umgang mit einer oder der andern Familie dort gänzlich entbehre. Vor allem ist es mein Plätzchen auf dem Balkon, woran ich hänge. Nun, Du weißt, wie es dort ist, es ist doch das schönste Stückchen Erde, das man sehen kann.
Wie steht es eigentlich mit Deinen Sommerplänen? Wirst Du Dein Häuschen in Lichtenthal wieder beziehen?
Habe Dank für alle Deine musikalischen Mitteilungen! Wie sehr freute es mich, daß die letzten Konzerte noch so schön ausgefallen sind. Daß Du Deine Stelle in Wien je wieder aufgeben könntest, je daran gedacht, ist mir nie eingefallen, und hätte ich sehr unrecht gefunden. Du hast da doch so schöne Kräfte und Anerkennung, wie sie ja nirgendwo Orchester und Chorleitungen zuteil wird.
Mit Bonn könnte ich Dir erzählen – Joachim und ich, wir operieren, um Dein Requiem ins Programm zu bringen; sie wollen nicht daran und haben eine Unterredung mit mir dazu benutzt, eine Äußerung von mir dahin auszulegen, daß ich das Requiem nicht gewollt hätte. Dr. Heimsöth sprach mit mir damals, ehe ich nach Wien ging, ob ich nicht meinte, daß es am schönsten sei, wenn Du etwas für den Zweck besonders komponiertest, was ich allerdings bejahte . . . Joachim ist eben nach Bonn abgereist, ich habe einen Brief geschrieben, worin ich sage, daß es sowohl mein als Joachims besonderer Wunsch ist, daß das Requiem gemacht werde, gebe verschiedene Gründe dafür an etc. Ich bin nun sehr begierig, was beschlossen wird. Joachim sprach davon, sich von der Sache zurückzuziehen, wenn sie nicht darauf eingingen, doch wäre das ja ein Jammer! Wer würde es dann dirigieren? Ich ginge dann auch nicht hin. Sprich, bitte, über diese Sache nicht, es gibt so leicht Mißverständnisse. Ich finde es aber eine so schöne Gelegenheit für das Requiem und sinnig dabei.
Herrn Behrens, ein reicher Herr in Manchester, bei dem Joachim immer wohnt (derselbe war auch lange Zeit ein intimer Freund des Woldemar), solltest Du doch mit ein paar Worten danken – mir scheint das nötig. Seine Adresse ist: . . . . Wolltest Du mir wohl den Gefallen tun, mir die beste kleine Photographie von Dir, die Du augenblicklich hast, schicken? Burnands wünschen sie sich so sehr in ihr Buch. Hast Du nicht Zeit dazu, zu schreiben, so sende mir nur diese mit einem Gruße. Schreibe bitte Deinen Namen unter die Karte.
Uns geht es im übrigen gut, Burnands sind gleich liebevoll, und das Publikum hat mich enthusiastischer denn je aufgenommen. Trotz alledem bin ich aber voll Sehnsucht nach Deutschland und zähle eigentlich die Stunden bis zur Abreise, was ich mir eingestehen muß, so ungern ich es auch tue, weil es mir fast undankbar vorkommt. Meine ganze Gesinnung ist aber so grunddeutsch, daß ich nirgends anders hinpasse. Ich gelte übrigens jetzt hier, wo die Sache mit der Stiftung bekannt geworden ist, für eine reiche Frau, wohl auch zum Teil in Deutschland . . . Die Leute hören immer große Summen aussprechen und überlegen dann gar nicht.
Die Kinder lassen Dich grüßen. Eugenie studiert fleißig. Meintest Du im Ernst, wir suchten uns die großen Namen aus zu Lehrern? Jetzt bin nur ich es, die ihr Stunde gibt – außer Dir, das weißt Du auch, überließe ich sie keinem gern.
Nun sei mir herzlichst gegrüßt, lieber Johannes, und denke zuweilen
Deiner alten
Clara.
P. S. Dein Sextett wurde neulich wiederholt und gefiel wieder außerordentlich. Scherzo wiederholt. Hast Du Dir letzteres furchtbar schnell gedacht? Ich habe es gern schnell, aber doch straff dabei. Das Requiem wurde neulich auch gegeben. Es ist genug, wenn ich Dir sage, daß es in den Händen eines Dilettanten, dazu schlecht übersetzt war. Ich denke, wir sprechen bald ’mal darüber.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: London
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1222-1226

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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