23.01.2024

Briefe



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ID: 22665
Geschrieben am: Montag 02.03.1874 bis: 03.03.1874
 

Berlin, den 2. März 1874.
Liebster Johannes,
wohl hättest Du erleben können, daß ich Dir eher als Du mir geschrieben hätte, wäre jetzt das Schreiben nicht so gar schwer für mich und das Diktieren so gar trübselig. Ich hatte es ja so voll auf dem Herzen, hätte Dir so gern noch ’mal unmittelbar gesagt, wie sehr ich die Tage in Leipzig genossen – wie ich Deine wunderbaren Schöpfungen förmlich wie den herrlichsten Blumenduft in mich gesogen, wie sie meine Seele gestärkt haben, die sehr bedrückt war, mehr, als Du es ahnen mochtest. Ich wurde die Tage eigentlich ganz mir selbst entzogen, und das war mir Erholung, Labsal! Inmitten Deiner schönsten Tätigkeit mochte ich Dir davon nicht sprechen, heute aber kann ich es Dir kaum verschweigen, daß ich mich öde im Innersten fühle wie nie. In allen Prüfungen hatte ich die Kunst als treue, helfende Freundin mir zur Seite, jetzt fehlt sie mir, und mir ist’s, als verliere ich ohne sie allen Halt fürs Leben. Ich bin ganz der Sorge hingegeben, der um Felix, der um mich selbst, nicht um mein Leben, aber meines Lebens Licht und Luft. Ich bin tief betrübt, daß ich mit solcher Mutlosigkeit auch meinen Kindern keine Erheiterung sein kann, arbeite Tag und Nacht an mir, mich aufzurichten, aber wie soll ich das nun mit dieser neuen furchtbaren Sorge um Felix? Er soll nicht nach dem Süden, sondern nach Davos im Hochsommer, dann den Winter dort bleiben, wo ein ganz ausgezeichneter Arzt sein soll, bei dem die Kranken wohnen. Nun sind wir seinetwegen hierher gezogen, und werden nächsten Winter ohne ihn hier sein müssen, auf den wir so schöne Hoffnungen gebaut, wenigstens die Geschwister – ich war nie mutig im Schlösserbauen, ich sammelte nur zum Bau, aber die Jugend baut stets gleich in den Himmel hinein. Er könnte jetzt gar nicht reisen (auch nicht nach dem Süden), weil er nicht aus dem Hause darf, da er immer etwas fiebert. Kannst Du Dir vorstellen, wie einer Mutter zumute ist, die einen Sohn lebendig begraben, den anderen, so reich begabten, siech herumgehen sieht, und sehr wenig Hoffnung hat, ihn zu erhalten, oder, wenn auch, vielleicht nie mehr ganz gesund zu sehen; ein teueres Kind, ebenfalls reich begabt, inmitten ihres Glückes begraben mußte, und wieviel Schweres sonst noch – kannst Du Dich in mich versetzen, so schätzest Du mich gewiß nicht geringer, wenn ich dem Kummer zuweilen freien Lauf lasse in das Herz eines mitfühlenden Freundes. – Felix arbeitet übrigens fleißig, wie sollte er auch die Tage sonst hinbringen.
Für meinen Arm habe ich seit 14 Tagen eine Streich-Knete-Kur begonnen bei einer Frau, die sehr bedeutende Kuren macht . . . . Sie behauptet, mich herzustellen, nur müsse ich Geduld haben, da das Übel lange vorbereitet und hartnäckig sei. Nun, an Geduld fehlt es mir nicht.
Den 3. Viel beschäftigt hier die Anstellung Stockhausens – war ich je froh, nicht an der Hochschule angestellt zu sein, so ist es jetzt. Denke Dir, Joachim war so unüberlegt (anders kann ich es nicht nennen), seiner Frau, die bereits dem Stockhausen in seinem nächsten Konzert am 11. mitzuwirken versprochen, zu verbieten zu singen, indem er schreibt: seinen Feinden in ihren Unternehmungen zu helfen sei edel und dumm . . . . Denselben Tag waren wir in einer großen Gesellschaft bei Radeckes, wo Frau Joachim sich so leidenschaftlich zeigte (fanatisch muß man sagen), daß ich ganz außer mir war, und die sogenannten guten Freunde, worunter auch Simrock, hetzten sie noch auf, indem sie ihr recht gaben. Ich ging am anderen Morgen zu ihr und bat sie inständigst, sich zu beruhigen und vor allen Dingen ihren Mann, und doch nur ein wenig Stolz in der Sache zu zeigen. – Denke nur, wie die Feinde Joachims – die Langhansische Klique und Stockhausensche (Sternsche) Partei jubelt, daß sie Joachims das antun konnten. Joachim und Schulze sagen jetzt, von nun an dürfen Frau Joachim, er, Henschel etc. nur noch für die Hochschule spielen und singen . . . . Es mag nun wohl stimmen, daß der neue Glanz des Sternschen Vereins manchen dorthin zieht, der vielleicht in den Chorverein der Hochschule, die vom nächsten Herbst an Aufführungen verdoppeln will, eingetreten wäre, aber . . . . Berlin ist doch wahrlich groß genug für zwei bedeutende Unternehmungen der Art. Und wäre es das, so müßten doch solche Künstler sich erhaben zeigen über solche Kleinigkeiten . .
Wäre doch das München nicht so weit! Und nicht meine Kur, die ich nicht unterbrechen darf! – Schicke mir doch ein Programm, damit ich die Tage weiß, wo ich Eurer dort gedenken kann; das kostet Dich keine Zeit, die Du zum Schreiben dort wohl kaum findest. Ich sende dieses an Levi – vielleicht bist Du schon dort.
Ich brauchte 3 Tage zu diesem Briefe, so sehr strengt mich das Schreiben an.
Sei recht vergnügt, mein lieber Johannes, und sende zuweilen einen warmen Gedanken
Deiner alten
treuen Freundin
Clara.
Die Kinder grüßen herzlich.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Berlin
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: München
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1270-1274

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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