23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 22667
Geschrieben am: Sonntag 05.04.1874
 

Berlin, Oster-Sonntag, den 5. April 1874.
Mein lieber Johannes,
nun liegen zwei liebe Briefe unbeantwortet vor mir, und war mir doch nach dem ersten schon das Herz so voll – ich hätte Dir so gern gleich gesagt, wie Du mich mit Deinen herzlichen Worten erquickt hast. Gedacht habe ich es viel, vielmal seitdem, und nun ich es Dir aussprechen möchte, erscheint mir das Dankeswort so trocken! Ein Händedruck und mein liebender Blick würde Dir alles besser sagen. Ich habe seither wieder viel durchgemacht, und noch bin ich der Sorge voll. Die Ärzte hielten Felixens Fortgehen so schnell als möglich für nötig, so benutzten wir ein paar milde Tage, packten ihn gut in einen Pelz, und er reiste nach Montreux, wo er nun 10 Tage ist und entzückt über die herrliche Natur schreibt; hier durfte er nicht aus dem Zimmer, dort ist er fast immer im Freien, die Wiesen voll der schönsten Blumen. Das ist nun ja eine Beruhigung, aber er darf im günstigsten Falle doch unter ein paar Jahren nicht wieder nach dem Norden. Welch ein Schmerz ist solch ’ne Trennung! –
Unsere Sommerpläne richten sich nun insofern nach ihm, als wir den Juli in Engelberg, wohin er die Sommermonate soll, mit ihm einen Monat zusammen sein wollen (ich so quasi als Nachkur von Teplitz, wohin ich im Mai gehe) – dann wollte ich ’mal das bayrische Hochgebirge kennen lernen, um für später einen Aufenthalt zu suchen. Mein Haus kann ich jetzt kaum verkaufen – die Zeit ist dazu zu ungünstig, aber ich will es vermieten vom Juli ab, möchte jedoch den Monat Juni dort zubringen. Ob sich das nun wegen wirtschaftlicher Einrichtungen realisieren wird, weiß ich nicht, hoffe es aber. Entschließest Du Dich vielleicht, bis zum Juli dort zuzubringen? Die Waldeinsamkeit nach all der Unruhe würde Dir doch gewiß wohltun! Ich denke, einem Musikfest werde ich wohl beiwohnen, im Juli vielleicht in Zürich oder Basel? Und wenn? Nach Köln kann ich nicht, weil ich nicht so früh nach Teplitz kam, als ich früher dachte.
Immer und immer muß ich denken, was alles ich in Wien diesen Winter gehört hätte, wäre ich dort gewesen! Du irrst, wenn Du glaubst, ich müsse immer alles von Wien wissen, durch wen? Betty schreibt selten und stets ganz kurz, nie etwas ausführlich. Über den Manfred hörte ich, habe ein schöner Aufsatz von Hanslick in der Presse gestanden, konnte mir ihn aber nicht verschaffen. Welche Freude wäre es mir, all dies unter Deiner Leitung zu hören.
Neulich war ich im Salomo, fand es aber so langweilig, daß ich nach dem ersten Teile ging. Ich muß gestehen, daß ich ein solches Oratorium überhaupt schwer von Anfang bis Ende aushalte, und nun gar, wenn die Chöre so wenig begeisternd sind, wie mir diese vorkamen – sonst gerade das Bedeutendste bei Händel. Gesungen wurde freilich auch langweilig genug unter Blumner (Grell kann nicht mehr dirigieren). Gestern ging es mir im Christus ebenso – ich hörte wenig (habe seit 3 Wochen hörsaffektionen, die mich nichts recht deutlich hören lassen), was ich aber hörte, durchnüchterte mich förmlich, so daß ich wieder nach dem 1. Teile ging. Es kam auch noch eine kolossale Hitze, Eß- und Biergeruch (in den Reichshallen) hinzu, was mir unerträglich war. Natürlich sangen Frau Joachim und Stockhausen schön, es ging sonst aber recht schlaff, überhaupt kam mir alles gar nicht recht gesanglich vor, Chorkraft vermißte ich ganz. Doch darüber habe ich nur ein beschränktes Urteil, da ich wenig und das Wenige oft nur halb hörte, aber auf die Nüchternheit dieser Musik glaube ich schwören zu können. Ach, wie wenig der musikalischen Freuden an Neuerem gibt es doch! Mir kommen sie nur noch durch Dich! –
Die Hosen des Herrn von Bredow werde ich mir verschaffen und freue mich darauf. Kennst Du ein kleines Werk „Sind Götter?“ von Felix Dahn? Es hat mich interessiert, ich weiß aber nicht recht, was ich daraus machen soll. Joachim ist heute (zweiten Feiertag) zurückgekehrt. Er wird sich mit Stockhausen wohl äußerlich wenigstens ausgleichen. Stockhausen benimmt sich klug. . . . Ich denke doch, Stockhausens im Grunde so noble Natur wird siegen.
Wie geht es nun mit Deiner Reise? Kannst Du nicht, da Du vom 20. – 26. eine Woche fast hast, über Berlin reisen? Ich dachte, Ende dieses Monats, wenn es warmes Wetter wird, nach Teplitz zu gehen, wüßte ich aber, daß Du kämest, so richtete ich mich danach ein. – Was führst Du in Bremen und Kassel auf? – Neulich hatte ich eine Freude – Elise war 8 Tage hier, und da habe ich Deine Variationen für 2 Klaviere recht schön mit ihr einstudiert, und dann in einer Gesellschaft bei uns gespielt, wo einige Musiker waren, die sie sehr mittelmäßig neulich bei Taubert (Symphonie-Soiree) gehört hatten und jetzt erst einen Begriff davon bekamen. Wie schön machen sie sich auf dem Klavier, auch wenn man sie für Orchester nicht kennte! Ein wunderbares Stück – wie sich das so riesig bis zum Schlusse hin aufbaut, und wie fesseln sie einen musikalisch von der ersten bis zur letzten Note.
Schreibe mir bald wegen hier, und auch, was Du ernstlich über Baden denkst?
Und nun, mein teurer Freund, sei mir von ganzem Herzen gegrüßt, und behalte lieb
Deine
Clara.
Die Kinder grüßen auch schönstens.
Mit dem Arm ist es immer dasselbe – das Spielen neulich habe ich wieder recht gebüßt – viel Schmerzen macht mir auch noch das Schreiben. Ich habe aber dennoch Zutrauen zu der Streichkur! Es ist nur langwierig.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Berlin
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1277-1282

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



Wir verwenden Cookies, um Ihnen den bestmöglichen Service zu gewährleisten (Mehr Informationen).
Wenn Sie auf unserer Seite weitersurfen, stimmen Sie bitte der Cookie-Nutzung zu. Ich stimme zu.