23.01.2024

Briefe



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ID: 22668
Geschrieben am: Dienstag 02.06.1874 bis: 04.06.1874
 

Teplitz, den 2. Juni 1874.
Liebster Johannes,
Tag für Tag ging ich damit um, Dir zu antworten, aber die Schmerzen im Arm, die sich täglich verschlimmerten, hinderten mich, und immer konnte ich mich zum Diktieren nicht entschließen. Hier verbot mir der Arzt das Schreiben aufs entschiedenste. Es läßt mir aber nicht mehr Ruhe, ich versuche es doch in kleinen Absätzen. –
War ich doch all die Zeit so mit dem ganzen Herzen bei Dir, verfolgte Dich in die Proben, Aufführung am Sonntag, und war, ach, so traurig, daß ich nicht dabei sein konnte! Ich muß Dir auch vor allem sagen, wie mich die schöne Aufnahme, die Du gefunden, gerade auch bei dieser Gelegenheit so innig erfreut hat, und nur der trübe Gedanke die Freude überschattete, daß ich es nicht durch Dich selbst wußte – ein Wort von Dir hätte mich ganz und gar froh gemacht.
Ich kämpfte eigentlich bis zum letzten Tage, ob ich nicht hinginge, aber es sprach vieles dagegen – es war mit Teplitz schon so spät geworden und verrückte mir all meine späteren Pläne, was freilich nun doch der Fall, da der Arzt erklärt, eine Kur unter 6 Wochen könne mir nichts helfen, da mein Übel hartnäckig sei, was ich freilich weiß. Er spricht mir aber Mut zu, das tut freilich der Arzt wohl immer. – So werden wir denn vor Anfang Juli nicht nach Hause kommen, und bleibe ich nun den ganzen Juli in Baden – ich muß mein Häuschen noch ’mal genießen, es ist ja doch nur noch eine Frist, daß ich es besitze. Im August gehe ich wohl auf 14 Tage nach Engelberg, dann will ich einiges kennen lernen, um für späteren Sommer zu wählen. Gern möchte ich Berchtesgaden, Ischl, Gmunden sehen – Marie wünscht aber so sehr ein Tour nach dem Comer See über den St. Gotthard oder durchs Engadin. Nun, vielleicht tue ich auch das, statt der anderen Tour – möglicherweise auch keine. Ich muß sehen, wie mir zumute ist. Wenn mein Leiden sich nicht bessert, dann weiß ich nicht, was ich mit mir anfange! –
Hier der Aufenthalt wird mir furchtbar schwer – so zwei ganz allein, ohne einen einzigen Menschen zu kennen, dabei sich mit nichts als Lesen (was mich lange hintereinander anstrengt) beschäftigen zu können – das ist eine Prüfung für mich. Zum Bummeln habe ich so gar kein Talent – es wird gleich so gar trübe in mir, wenn ich nicht tätig sein kann.
Die Bäder gehören aber zu den schönsten, die ich kenne, Wirkung verspüre ich jedoch noch keine, und sehr möglich ist es, daß, sollten sie mir helfen, dies doch erst später kömmt.
Den 3. Ich muß mich doch von Marie ablösen lassen, schließen kann ich noch nicht, hab’ noch zu vieles zu plaudern. Wie kommt es, daß Du in Düsseldorf nun doch nicht selbst dirigiertest? . . . . Nun höre ich aber heute, daß Du doch dabei warst! – Du kommst ja aus den Festen gar nicht mehr heraus. Nun geht es schon wieder zu neuen nach Basel! Daß ich da nicht hin kann, ist mir am schmerzlichsten – welch schönes Programm! – Was hast Du nun eigentlich nach dem beschlossen? Wo gehst Du hin bis zum Züricher Fest? Levi kommt ja auch nach Basel. – Dein Vorschlag mit Bonn hatte etwas Verlockendes. Simrock sagte aber, das Leben dort sei ganz entsetzlich.
Hat man Dir dort etwas gesagt über die Herstellung eines Grabsteins? Ich habe Angst, daß sie vielleicht etwas Geschmackloses machen. Ich möchte es vor allem gern recht einfach haben. Du kennst meine Ansicht über Denkmäler, die sich ja doch bedeutende Leute in ihren Werken am schönsten setzen. Wie hast Du Dich bei Hiller befunden. Waren Frau Hiller und Antonie da? Es hat mir doch eine rechte Freude gemacht, daß der Hiller noch ’mal einen schönen Erfolg mit einem Werke erlebt hat. Es ist ja auch sicher sein bestes Werk, und wenn auch nichts Neues darin ist, so ist es doch mit Frische und Liebe gemacht.
Vom Faust in Berlin hat Dir wohl Joachim erzählt. Die Chöre waren zum Teil recht schön. Aber für Musiker guckt doch beim Stockhausen der Dilettant alle Augenblicke ’mal heraus. Es ist doch eine eigene Sache, wenn einer das Musikstudium (das Handwerk, wenn man sich so ausdrücken darf) nicht in frühester Jugend gelernt hat. Das hängt ihm dann Zeit seines Lebens immer an . . . .
Dein Zuspruch wegen der unnötigen Geldsorgen hat mir gut getan, es ist so nötig für mich, daß mir diese manchmal verscheucht werden. Ich war so gewöhnt an Arbeit oder Tätigkeit, die mir auch eintrug, daß mich nun, wo ich nichts vor mich bringe, aber recht viel brauche, oft das Gefühl ängstigt, als hätte ich überhaupt noch nichts getan!
Den 4. Eben will ich mich hinsetzen zum Schluß, da kommt Dein Brief, und so kann ich Dir doch gleich danken. Die Freude, die er mir gemacht, möge Dich entschädigen für das Opfer, das Du mir gebracht. Was mich besonders darin freute, ist, daß Du selbst das wohltuende Gefühl, das solche Aufnahmen bringen müssen, eingestehst – es kann ja nicht anders sein –, als daß solche Anerkennung einem Künstler das Herz erwärmen muß. Ich muß Dir sagen, daß, diese noch zu erleben, zu dem Beglückendsten gehört, was mir in meinem Alter noch kommen konnte.
Bitte, bringe mir auch jetzt noch ’mal das Opfer einiger Worte nach dem Fest! Gedenke der einsamen Freundin, die mit all ihren Gedanken jetzt wieder bei Dir ist, und die alles Gute, was Dir kömmt, so recht wie ein eigenes Glück empfindet.
Deine alte
Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Teplitz
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Bonn
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1284-1290

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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