23.01.2024

Briefe



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ID: 22670
Geschrieben am: Freitag 23.07.1875
 

Klosters, den 23. Juli 1875.
Graubünden. Hotel Florin.
Lieber Johannes,
hab’ Dank für Brief und Sendung – ich habe sogleich an Dietrich geschrieben, und manches fiel mir dabei noch ein. Ich möchte eigentlich auch die alten Aufsätze nicht hergeben (auf die Bücher mit blauer Schale besinne ich mich wohl, die sind in meines Mannes Schreibtisch in Baden noch), denn daß Robert sie nicht in seinen gesammelten Schriften aufnahm, ist ja doch ein Beweis, daß er Gründe dagegen hatte. Warum auch, um ihn als geistreichen Schriftsteller zu zeigen, als welcher er ja aus seinen Schriften genug zu erkennen ist, einen alten Mann wie Hiller, der noch dazu mein Freund ist, kränken? Ich fände das gehässig. Und nun gar die Prozeßgeschichte, meinen Vater, dem ich so vieles danke, und den ich innig liebte (stimmte ich auch musikalisch nicht immer mit ihm überein), vor der Welt kompromittieren lassen, und noch dazu in einer Sache, wo er in blinder Leidenschaft unzurechnungsfähig war, wo er unedel und inhuman dastehen würde, während er gerade das Gegenteil war. Wäre aber auch alles anders, so war er eben mein Vater, das ist ja schon genug. Robert bedarf in der Sache keiner Rechtfertigung, wäre es aber so, so ist ja die völlige Aussöhnung mit dem Vater genug für ihn sprechend. Ich habe übrigens auch nie gehört, daß jemand ihn irgendwie beschuldigt hätte.
Mit herzlichem Behagen denke ich an unsern schönen gemütlichen Nachmittag mit Dir, und Deine Musik hat meine Seele wahrhaft erfrischt – ich bedürfte solcher Freude öfter, das fühlte ich recht all die Zeit. Über das Quartett habe ich noch viel gedacht, die drei letzten Sätze sind mir tief ins Gemüt gedrungen, aber, dürfte ich mir erlauben, es zu sagen, ich finde den ersten nicht auf gleicher Höhe stehend, es fehlt mir darin der frische Zug, obgleich er in der ersten Melodie liegt. Ich hätte ihn mögen noch einmal hören, um mir klar zu werden, warum er mich nicht warm machte. Sollte es Dir, der Du doch oft Sätze lange mit Dir herumträgst, nicht gelingen, daran zu ändern? Oder einen neuen Satz zu machen? Wie leicht findest Du dieselbe Stimmung wieder, das hast Du ja manchmal schon bewiesen und wie herrlich. Verzeih, vielleicht ist es dumm, was ich sage.
Unsere Reise war glücklich, aber auf der Schwarzwaldtour, die ganz prachtvoll ist, waren wir von stetem Regen begleitet, der jedoch nicht, wie es bei Euch gewesen sein muß, ausartete. Hier kamen wir bei gutem Wetter an, hatten nachher aber 3 vollständige Regentage. Trotzdem haben wir schon all die schönen einsamen Plätze im Walde gefunden, wo wir, sobald der Himmel uns wieder Sonnenstrahlen gönnt, diese zu genießen hoffen. Es gefällt uns hier mehr und mehr und viel mehr als in Engelberg; erstlich hat man Massen von Waldspaziergängen, dann ist alles viel einfacher und viel mehr Ruhe hier. Wir wohnen in einer Dependence und können aus dem Hause gehen, ohne einen Menschen zu sehen. So werden wir denn wohl auch bleiben – die Luft ist wundervoll, das ist ja schon des Bleibens wert.
Den 24. Mein Brief blieb liegen gestern, unterdes kam einer von Schöne, der uns wieder in einige Aufregung versetzte. Ich lege ihn Dir bei und wäre Dir sehr dankbar, wenn Du mir ganz rücksichtslos Deine Meinung sagtest. Mir ist das Handeln unangenehm, und ich meine, ich müßte von meiner Forderung nicht abgehen . . . . Ich finde das Honorar zu gering, für die Stundenzahl nicht, aber für Namen und Stellung, wie ich sie als Künstlerin einnehme. . . . Bitte, sage mir bald, was Du mir rätst . . . . Ich möchte Schöne nicht lange auf Antwort warten lassen . . . .
So leb’ denn wohl für heute, sag’ mir auch, daß Du mir nicht zürnst von wegen des Quartetts.
Die Kinder grüßen sehr, Felix fand ich bedeutend wohler als vorm Jahr, und will er durchaus mit nach Berlin, er sagt, die Pflege zu Haus, vor allem die kräftigere Kost, werde ihn eher herstellen als sein jetziges Leben. Er wolle des Abends bei kalter Witterung nicht ausgehen, überhaupt vorsichtig sein. Was tut man nun? Es hat eben alles seine zwei Seiten.
In alter treuer Gesinnung
Deine Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Klosters
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Ziegelhausen
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1296-1299

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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