23.01.2024

Briefe



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ID: 22674
Geschrieben am: Donnerstag 09.12.1875
 

Berlin, den 9. Dezember 1875.
Lieber Johannes,
erschrick nicht, daß ich gleich wieder komme, und verzeih, wenn’s übereilig von mir ist, aber ich möchte Dich doch sehr bitten, überlege das mit Aachen. Es ist das doch immer eine Ehrensache, und, daß es vorm Jahr in Düsseldorf nicht besser ausfiel, war doch zum größten Teil Schuld der dortigen elenden Verhältnisse. In Aachen ist’s anders, der Chor stets von Breunung gewissenhaft einstudiert, auch kannst Du ja einige Wochen vorher schon am Rhein sein und so besser vorbereiten, als Joachim es konnte, der zu kurz vorher kam und sich auch grade das Schwerste ausgesucht hatte, was er, hätte er den Mangel des Chors in Düsseldorf gekannt, wohl kaum getan hätte. Dazu kam auch noch die fatale Geschichte mit Tausch, kurz, es vereinigte sich viel Ungünstiges, auch daß er den Herakles da quasi aufgedrungen hatte. Nein, ich fände es doch wunderschön, wenn Du das Fest leitetest. Müßtest Dich aber auch gut honorieren lassen und das Programm ganz nach Deinem Gutdünken gemacht werden. Noch mußt Du dann auch bedenken, daß die Opposition, die Joachim so oft findet – ein Geiger als Dirigent – bei Dir ganz fortfällt. Du bist der Komponist und der zum Dirigenten Berufene, das weiß ein jeder, der den Stab in Deiner Hand sah, und findet es ganz natürlich. Ich denke mir, es tut Dir hinterher doch am Ende leid und wird gewiß auch falsch beurteilt. Natürlich kann ich Dich nicht bestimmen wollen, aber bedenke es nach allen Seiten hin!
Hab’ Dank für Deine schnelle Antwort – ich dachte dasselbe, was Du ausgesprochen, und werde gleich an den Herrn schreiben.
Von dem Billrothschen Abend hatten wir schon gehört und mit Sehnen daran gedacht. Wären wir nun in Wien, so genössen wir so manches, während wir hier – fast nichts haben. Unter uns gesagt, wir bleiben hier nicht, ziehen jedenfalls wieder fort; warum soll ich die paar Jahre meines Lebens nicht noch genießen, künstlerisch und im Zusammenleben mit einigen lieben Freunden. Marie stimmt mit mir, auch sie sehnt sich förmlich hier fort. Wäre nur das Wien nicht so weit, ich entschlösse mich schnell, aber die Entfernung vom Mittelpunkt Deutschlands ist so groß! Freilich, ich bliebe dann ruhig dort, gäbe einigen talentvollen Schülern Unterricht – das fände sich dort doch gewiß! – An Düsseldorf denken wir auch viel, nur bietet der Ort selbst gar so wenig, und wegen ein paar Menschen kann man doch nicht an einen Ort ziehen – das ändert ja, wie man die Hand umdreht. Ich spreche hier zu niemand davon, darum tue Du es auch nicht, aber denke ’mal für mich. Hätte ich doch jetzt jemand, der mir sagte, dorthin mußt Du. Was uns auch viel mit bestimmt, ist, daß Felix, trotzdem er viel besser ist, doch nie hierher darf. Und Ferdinand! An ihm haben wir gar nichts, als daß wir ihn alle 8 Tage sehen und . . . .
Nun bin ich doch noch ganz lang geworden, ich weiß aber, wenn’s gilt, stehe ich Dir doch näher als mancher andere.
Und nun leb’ wohl, Sag’ mir bald wegen Aachen, sobald Du entschieden hast – es beschäftigt mich doch sehr.*
Von Herzen wie immer
Deine Clara.
*Hast Du nicht Zeit, so sende nur eine Korrespondenzkarte mit Ja oder Nein.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Berlin
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1308ff.

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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