23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 22814
Geschrieben am: Montag 09.05.1881
 

à 4. Andante
[Notenbeispiel mit Text]
Johs. Brahms
Wien, Mai 81.
Liebe Clara,
Bei Deiner Klage über das neue, nicht grade geschmackvolle Papier fällt mir dieses ein, von dem ich den ersten Bogen gebrauche, den weitern Vorrath werde ich wohl weiter liegen laßen!
Nun vor Allem schönsten Dank für die mehreren Nachrichten nach Italien u. hierher. Aber Elise muß durchaus ihre Rückreise einen Monat verschieben u mit Dir nach Italien! Von Mitte September bis Ende Oktober solltet Ihr dort reisen u. zwar solltest Du mit der festen Absicht reisen im nächsten Frühling wieder hin zu gehen, wenn auch nicht Alles nach Wunsch ausfallen sollte oder grade dann!
Weiter wünsche ich denn nur gutes Wetter, d. h. praktisches, ein Wetter das Menschen angenehmer als den Insekten ist. Eines aber fürchte ich für Euch, das ist das Programm der Reise!
|2| Du müßtest Dir zur festen Regel machen so wenig u. so langsam wie möglich zu sehen. Einige Morgenstunden täglich dazu gebrauchen u. jeden Nachmittag spazieren fahren. Ein Jeder wird Dir eine andere Stadt u. in <j> der Stadt eine andere Kirche u. Gallerie als das wichtigste empfehlen.
Man darf aber in Italien nicht fragen was man nicht sieht, gar zu leicht sieht man doch zu viel.
Und da ist es ein wahres Glück daß die Musik dort nicht auch entzückend ist! Im Gegentheil schauderhaft!
Sonst wüßte man ja aber auch nicht wohin mit seinem Verstand – ein Sinn ruht aus! Ich zwar habe fleißig Alles gehört was mich interessirte aber für Dich wäre wenig dabei gewesen. Vor unseren Collegen aber (die gern artig u. höflich sind) mußt Du Dich wie ich streng hüten.
Für Conservatorien bin ich nicht zu Haus u. nicht dort!
Wenn ich Dir ein beiläufiges Programm aufstelle – so wird das Eines von Hunderten werden! Wenn nur schließlich Deines nicht länger wird!
Einige Tage in Venedig sind der herrlichste Anfang u. für Dich der bequemste u. entzückendste Genuß. Du brauchst bloß auf dem Markusplatz zu schlendern u. zu sitzen u. in der Gondel zu fahren. Hier u. in jeder Stadt mußt Du nicht versäumen auf die Frucht-Gemüse u. Fisch-Märkte zu gehn, gern eine Gallerie oder eine Kirche dafür opfern.
|3| Dann jedenfalls direkt nach Florenz. Und da ist es die Frage ob es nicht am besten ist Du nimmst Dir dort für die ganze Zeit eine behagliche Wohnung (die ist dort sehr billig u. gut zu haben.)
Und jetzt nur nicht zu viel sehen, ein Zimmer in einer Gallerie u. die bloßen Thüren am Baptisterium, das wäre so eine gesunde Portion für Dich! Und Nachmittags hinaus fahren! Nur nicht durch <alle> die ganzen Gallerien u. alle Kirchen laufen!
Falls Du eine hübsche Wohnung dort hast, würde ich gelegentlich, einmal die Tour nach Siena u. Orvieto, einmal nach Perugia u. Assissi machen. Sonst auf dem einen Weg nach Rom u. auf dem andern zurück. Nur wieder: nicht mehr u. dieses langsam u. behaglich! Wenn Du Dir Ruhe gönnst in einer Stadt wie Siena so hast Du was davon. Den Dom anzuschauen wirst Du nicht müde werden u. spazieren fahren (wie ich laufe) läßt sich dort allerwärts prächtig.
Ja u. nun Rom – das ist eine Welt u. ich weiß nicht wie viel Vorsicht Du brauchst, um Genuß u. keine wirre Ermüdung zu haben. Desto länger Du Dich aufhälst u. desto weniger Du Dich anstrengst – desto mehr hast Du Freude.
Eine Fahrt u. eine behagliche Bummelei in Neapel wäre eine Erholung dann, aber <ich glaube> vielleicht läßt Du das <zum> bis zum Frühling, wo Du im April reist u. dann Neapel bis Ende Mai noch der schönste Aufenthalt ist.
Wenn nur nicht mehr in Dein Programm kommt u. dies recht mäßig u. langsam genoßen wird, da wäre ich zufrieden!
|4| Warum hörst Du immer auf Fragen wie wegen des e in den Davidsbündlern? Da kann man ja jeden Tag u. bei jeder Note fragen! Es ist ja sehr schön so u. nie eine Ahnung von e. Das f steht zwar im Manuscript aber zum Glück sonst nirgend – also gut, denke ich!?
Wegen Genoveva weiß ich leider nichts zu sagen, da hilft wohl nichts als daß Frank gründlich alle Vorlagen prüft u. bedenkt.
Aber natürlich müßen alle Sachen durch Brisslers Hand gehen. Er soll doch für Druckfehler u. A. verantworlich sein u. – nur sonst keine Dummheiten machen.
Hernach aber sehe ich Alles sehr gern.
Den Canon von diesem Papier aber kannst Du Dir bei Stockhausen ja vorsingen laßen, grüße ihn schön damit, ich lege ihn noch einmal deshalb bei. Er kann noch einen schwereren haben wenn er will!
Nun grüße die Deinen schönstens u. halte Elise fest für Italien – ich gehe auch vielleicht u. bin etwas Euer Führer u. noch mehr werde ich Euch zurück halten, was freilich seine Schwierigkeit hat wenn das Entzückende doch einmal von allen Seiten herandrängt.
Herzlichst
Dein J. Br.

  Absender: Brahms, Johannes (246)
  Absendeort: Wien
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
Empfangsort: Frankfurt am Main
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1622-1626

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus.Nachl. Schumann, K. 7,189
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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