Liebe Clara.
Statt nun endlich die Chronik der letzten Monate zu schreiben, melde ich ganz was Neues. Es ist sehr wahrscheinlich daß ich in 8 Tagen (Mittwoch 27ter) nach Sicilien abfahre!
Die Profeßoren Barbieri, Billroth u. Exner überreden mich die schöne Reise mitzumachen.
Recht sehr wollte mich der Gedanke an Deinen beabsichtigten Aufenthalt in Florenz abhalten – aber ich sage mir wie höchst unwahrscheinlich es ist daß Du dazu kommst.
|2| Denke ich aber an die letzte verfloßene Zeit zurück, so ist mir erst recht das Liebste u. Wichtigste daß ich Dich gesehen habe u. so unverändert, so <schön> wie es schön gewohnt bin.
Alles übrige Erlebte magst Du Dir auch so lustig u. erfreulich wie Du willst, vorstellen.
Joachim war zutraulicher u. freundschaftlicher als gewöhnlich u. durch die erzwungene ruhige Zeit <hätt> hatten wir denn sehr angenehmes Zusammensein.
Grade als wir in seine erste Orchesterprobe gingen, schwirrte |3| die Nachricht vom Tod des Kronprinzen herum. Das ganze Orchester war versammelt, aber Probe u. Concert unterblieb. Leider macht J. auch die schlechte Sitte der überlangen u. überanstrengenden Programme mit.
In Berlin hatte ich mannichfachen Genuß, namentlich auch durch die Theater. Die J-Feier war ja sehr würdig u. schön – die Musik dabei nicht grade besonders. Seine Ouverturen zu Hamlet u. Heinrich <V> recht mäßig. Dagegen hörte ich ein sehr interessantes u. schönes Kirchen-Concert unter Joachim’s Leitung mit 3 Cantaten von Bach u. 2 von Schütz.
|4| In Hamburg hatte ich das besondere Glück ein paar Tage hübsches Wetter zu haben.
Die Menschen waren Dieselben wie sonst, einige nicht unangenehm. Frau Sauermann fand ich merkwürdig unverändert, wohl u. liebenswürdig. Meiner Schwester geht es sehr gut u. wohnt sie allerliebst. Stief-Mutter u. Bruder besuchte ich in Pinneberg, wo sie gar behaglich u. hübsch leben.
Könntest Du mir Bestimmtes über Deine Reise nach Florenz sagen, wäre es mir sehr lieb, vielleicht macht sichs auf meiner Rückreise daß ich Dich sehe.
Die Viol-Sonate ist bereits fertig ge<druckt>stochen u. wirst Du sie bald gedruckt haben!
Für Heute nur noch
herzlichsten Gruß Deines Joh.
|