23.01.2024

Briefe



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ID: 22984
Geschrieben am: Freitag 21.11.1862
 

Hamburg, den 21. November 1862. Freitag abends.
Lieber Johannes,
ich schreibe Dir noch heute nach dem philharmonischen Konzert, damit Du recht bald von hier aus von mir erfährst. Soll ich Dir sagen, wie viel ich an Dich denke? Du mußt es ja wissen, ohne daß ich es ausspreche. Ich schwankte wohl, ob ich das Engagement hier annehmen sollte, schließlich aber dachte ich, ich müsse der Stimme des Herzens mit der Kraft der Vernunft entgegengehen, müßte sie bekämpfen können, wie schwer aber ist das! Und nun kamen gestern auch noch Deine traurigen Zeilen dazu. Du weißt, wie nahe mir alles geht, was Dich betrifft, und kannst Dir denken, wie schmerzlich mich Dein Brief bewegt. Die Sache hatte ich bis jetzt nie ernstlich genommen, denn Avé hat ja oft von Plänen gesprochen, an Ausführung nie gedacht, jetzt aber fühle ich alles Weh mit Dir, wie ich dasselbe ja jahrelang mit meinem Robert durchgelitten. Avé empfing mich vorgestern gleich mit dieser Neuigkeit, wir saßen bis tief in die Nacht noch zusammen, ich sagte ihm meines Herzens Meinung, daß ich solchen Schritt von ihm gar nicht für möglich gehalten hätte, daß es eine Schande sei etc. – er kam mit allerlei Gründen, z. B. dem, daß hier erst ’mal aus dem Groben herausgearbeitet werden müsse, was nicht Sache eines solchen Musikers sei, wie Du es bist. Das solle Stockhausen tun, und dann solltest Du eintreten, überhaupt spricht auch Stockhausen in der festen Zuversicht davon, daß Ihr wunderschön im Verein hier wirken könntet. Wie das gehen würde, ich weiß es nicht – die Sache leuchtet mir nur halb ein. Nun, wer weiß! Welchem Künstler ist es aber so wohl geworden, seinen häuslichen Herd in der Vaterstadt aufschlagen zu können? Das ist ja eben so traurig immer! Doch, Du bist noch so jung, lieber Johannes, Du findest schon eine bleibende Stätte, und „nimmt ein liebes Weib man sich, in jeder Stadt den Himmel man hat“. Das sagte mein Mann so zart in den kleinen Gedichten, und gewiß findest Du Familienglück und Heimat – alles! Daß Du Dich in Wien noch fremd fühlst, begreife ich, doch verliert sich das bei längerem Aufenthalt gewiß etwas, und manches wird nach und nach sogar Dich dort fesseln. Ich hoffe nur das Schönste für Dich, es ist ja so häufig im Leben, daß, was einem so hart erschien, dann zu einem Glücke führte. Ich sende Dir Avés Brief zurück, von Ihm erfährt natürlich niemand. Jetzt muß ich mich, ehe ich von anderem schreibe, zu einem Unrecht bekennen, das ich getan. Du hattest mir in Deinem Briefe kein Wort sonst von Dir, Deinem ersten Auftreten etc. gesagt, auch sonst nichts, wie Du lebst, und mich auf den Brief an Deine Eltern verwiesen, als auch mir geltend; ich konnte die Deinigen erst nachmittags sehen, das war noch ein halber Tag, kurz, ich las den Brief, ehe ich ihn ihnen brachte; gleich hinterher fiel mir ein, ich hätte es wohl nicht tun sollen, und besser wär’ es wohl gewesen, ich hätte ihn wieder zugemacht, dann hätte ich mir aber den Anschein geben müssen, nichts davon zu wissen, und solche Verstellung wollte mir auch nicht gefallen, ich kann das so schlecht fertig bringen, und nun gar so lieben, rechtlichen Menschen gegenüber, wie den Deinigen! Ich ging mit recht vollem Herzen zu ihnen, vermißte aber an ihnen die alte Herzlichkeit und kann mir nur diesen Grund denken, und finde ihn gerechtfertigt, kann ja aber nichts weiter jetzt tun, als es bedauern und mir vornehmen, solches in ähnlichem Falle nicht wieder zu tun, wenn es mir auch noch so schwer würde.
Wie freute es mich, daß Dein erstes Auftreten so schön abgelaufen, Du so schön gespielt hast und nun noch ein paar Konzerte gibst. Werden es Kammermusik-Soireen oder Orchester-Konzerte sein? Und was ist das für ein C moll-Sextett? Wirst Du, lieber Freund, mir das nicht schicken? Soll ich es nicht kennen lernen? – Eine Bitte habe ich, schicke mir doch gleich das G moll-Quartett, ich soll in Leipzig in einer Quartettunterhaltung spielen und möchte das als Ensemble wählen. Bitte, sende es der Sicherheit halber gleich direkt unter Adresse: Frau Livia Frege nach Leipzig, dort bin ich vom 1. Dezember an bis ungefähr den 13. Ich werde es tüchtig probieren und es so gut spielen, wie es in meinen Kräften steht. Leider habe ich hier gar kein Ensemblestück von Dir, freilich auch keine erfreuliche Mitwirkung – ich habe daher zu unsrer ersten Soiree die Variationen in B gewählt, die können die Leute schon wieder hören! Ich denke, so weit entfernt von Schau- oder Hörplatz ist es auch Dir nicht unangenehm!
Das philharmonische Konzert ist heute abend ganz glücklich abgelaufen, ich habe alle Kräfte zusammengenommen, der traurigen Stimmung keine Gewalt über mein Spiel zu lassen. Wie Stockhausen immer singt, weißt Du ja. Morgen müssen wir zu Hof nach Hannover, dann Montag wieder hierher bis Sonnabend den 29., wo ich wohl schon nach Leipzig gehe. Bei Wagners wollen sie mir heute über 8 Tage noch Deine neuen Lieder, die Du ihnen zum Abschied komponiert, singen, da wirst aber wieder Du in der Mitte fehlen! – Wem hast Du Deine Quartette verkauft? Rieter?
Eben höre ich, d. h. heute (denn es ist 1 Uhr nachts, wo man nichts hört), daß Joachim erst Mitte Dezember zurückkehre. Jetzt muß der Aufenthalt doch doppelt unangenehm für ihn sein.
Es freute mich sehr, heute auch von meiner Julie zu hören, daß Du Dich der Julie Asten so sehr annimmst – ich gönne das dem fleißigen, strebsamen Mädchen recht von Herzen. Grüße sie doch ja von mir, und sage ihr, sie solle nicht glauben, es sei Teilnahmslosigkeit von mir, daß ich ihr noch nicht schrieb auf ihren letzten Brief – ich konnte aber nicht, es lastet zu vieles immer auf mir, das auseinanderzusetzen schon eine Arbeit wäre.
Dein Entzücken über Lewinsky wußte ich voraus – ich erzählte es Dir ja immer, daß der ein Genie. Grüße ihn doch recht herzlich von mir, auch sonst wer etwa nach mir fragen sollte. Hast Du das Theater frei? Ich hoffe es.
Schicke mir doch ja Deine Programme, und laß mich bald ’mal ausführlicher von Dir wissen. Bis zum 29. also hier, dann bis 13. in Leipzig, wo ich recht bald Dein Quartett erwarte. Ich gehe dann noch für ein Engagement nach Breslau, gebe dort ein Konzert außerdem und denke am 20. zur Weihnachtszeit in Berlin zu sein – zum letzten Male.
Du sagst mir ja kein Wort über meinen Hausbesitz in Baden? Hast Du keinen guten Wunsch für mich?
Nun lebe wohl, lieber Freund. Ich hoffe, Du kämpfest Dich bald über das Weh, das Dein Herz jetzt befangen, hinweg, und leichter, als andre Menschen es könnten, da Du ja in Deiner Kunst den besten Trost für alles finden mußt – ein so auserwählter Liebling der Tonmuse!
Denke meiner, die ich in immer alter Treue bleibe
Deine Freundin Clara.
Mittwoch wollen wir bei Deinen Eltern abends sein, sei dann Du bei uns!

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Hamburg
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
853-859

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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