23.01.2024

Briefe



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ID: 23079
Geschrieben am: Montag 06.02.1865
 

Am Montag früh.
Liebe Clara,
Wenn Du einen Brief von mir aus Hamburg bekommst kann ich nicht wohl versuchen Dir schonend allmählig mitzutheilen was uns betroffen.
Und so sei es Dir denn nur tröstend daß Gott uns den Abschied von der Mutter so milde wie möglich gemacht hat.
Elise ist, Dank Dem, daß sie immer beschäftigt sein muß, recht wohl; Sie kommt keine Minute zum Sitzen u. Nachdenken u. scheint dadurch sogar recht gefaßt.
Ich denke für später an sie betrübt, über die erste schlimme Zeit ist sie Gott sei Dank gut gebracht.
|2| Am Dienstag Abend kam m. Mutter ganz wohl gelaunt aus einem Concert u. scherzt vom Wagen aus noch mit Fritz. Kaum fährt der Wagen da klagt sie daß sie die Zunge so schwer fühle u. m. Schwester sieht mit Schrecken daß der Mund sich schief verzogen u. die Zunge geschwollen vorliegt.
Mit dem festen Wissen daß ein Schlaganf. die Mutter getroffen muß Elise doch die Mutter trösten u. ruhig bleiben als die Mutter klagt daß die ganze linke Seite so gelähmt sei. Zu Hause, mit Hülfe hinauf gebracht, glaubt sie sich ganz gesund u. an Elisen’s Tröstung daß die Erkältung im Bett gleich vorüberginge. Ihre Sprache war kaum zu verstehen. Der Arzt sagte Elisen gleich, wie bedenklich der Zustand.
Im Bett konnte sie noch aufs Zärtlichste meine Schwester nennen u. ihr die Hände drücken, dann schloß sie die Augen u. schlief |3| sanft ein. Der Schweiß, schließlich das Röcheln – in der folgenden Nacht um 2 Uhr verschied sie.
Fritz telegraphirte mir jetzt u. ich kam Sonnabend früh hier an. Den Tod hatte ich natürlich geahnet, obwohl m. Bruder das Wort verschwieg.
Gestern um 1 Uhr haben wir sie begraben. Sie war ganz unverändert u. sah so lieb u. sanft aus wie im Leben.
Alles was tröstend sein kann bei solchem Verlust ward uns u. namentlich meiner Schwester. Die Mitbewohner des Hauses standen ihr in wirklich rührender u. aufopfernder Weise zur Seite! So auch andre Freunde u. Freundinnen.
Da wollte ich immer m. letzten Brief an Dich einen nachschicken weil ich fürchtete Du möchtest mich gar zu theilnahmlos finden.
Jetzt sieh, meine Schwester fühlt <s> ihren Schmerz besänftigt u. seufzt fast dankbar wenn |4| sie an ein schreckliches Unglück denkt das jetzt grade eine Freundin betroffen u. an ein grausames Schicksal das der Schwester meiner Mutter bevorsteht.
Wir dürfen wohl nicht über die Härte des Schicksals klagen daß uns eine 76jährige Mutter genommen, wir dürfen nur still unsern Verlust beklagen u. sorgen daß die Schwester ihn nicht zu herb empfindet.
Für Deine Hand ist aber meine Sorge immer größer geworden u. ich bin wirklich ängstlich zu hören, wie es nach abgenommenem Verband u. den jetzt wohl verstrichenen 3–4 Wochen aussieht.
Ich weiß nicht grade, wann ich wieder zurückgehe, es wird wohl noch ein u. den andern Tag hier mich halten.
Meinem Vater geht’s wohl u. es war für den besten Mann wohl gut daß ich gekommen.
Stockhausen u. Avé waren sehr theilnahmvoll, u. Avé u. viel junge Musiker |5| gaben meiner Mutter das Geleit. Blumen u. Kränze haben viele ihren Sarg geschmückt u. trotz der grimmigen Kälte gab ihr Musik den Abschiedsgruß.
Elise grüßt Dich herzlichst, es geht auch Heute <h> recht sehr gut u. Angst macht sie mir durchaus nicht.
Müßtest Du Deine Hand später etwa noch schonen, wie wär’s da wenn ich Dir in den Concerten <ein> jedesmal ein paar Ensemble-Stücke spielte u. Du dann nur einige Solo-Sachen?
So lebe wohl für Heute u. sei herzlich gegrüßt von uns Allen.
Dein
Johannes.

  Absender: Brahms, Johannes (246)
  Absendeort: Hamburg
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
Empfangsort: Düsseldorf
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
960-963

  Standort/Quelle:*) D-B: Mus. Nachl. K. Schumann 7,137
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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