23.01.2024

Briefe



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ID: 23110
Geschrieben am: Freitag 11.01.1867
 

Düsseldorf, den 11. Januar 1867.
So hast Du denn wirklich das letzte Wort aus Deutschland, liebster Johannes, denn heute abend geht’s wirklich fort! Ich kann nicht sagen, wie schwer es mir wird – wenn ich nur wieder nach meinem lieben Häuschen komme!
Für Deinen lieben Brief neulich hab’ Dank, er ist mir noch ein liebes Geleite in die Fremde.
Zu erzählen gibt es hier wenig, aber sagen muß ich Dir noch, daß ich ganz und gar erfüllt bin von Deinem Requiem, es ist ein ganz gewaltiges Stück, ergreift den ganzen Menschen in einer Weise wie wenig Andres. Der tiefe Ernst, vereint mit allem Zauber der Poesie, wirkt wunderbar, erschütternd und besänftigend. Ich kann’s, wie Du ja weißt, nie so recht in Worte fassen, aber ich empfinde den ganzen reichen Schatz dieses Werkes bis ins Innerste, und die Begeisterung, die aus jedem Stücke spricht, rührt mich tief, daher ich mich auch nicht enthalten kann, es auszusprechen. – Mit Bruch und Rudorff habe ich es neulich auch durchgegangen, gleich zweimal, und es ging ihnen wie mir, sie waren auch ganz ergriffen. Eines war mir schon mehrmals aufgefallen, und die Herren fanden es auch, nämlich, daß der 5. Satz gegen den Schluß hin etwas sehr gedehnt ist, die schöne Steigerung wiederholt sich zweimal, und wirkt das zweitemal nicht mehr als solche. – Ich hoffe, Du setzt die Aufführung des Werkes durch – sehr schwer ist ja eigentlich nur die große Orgelpunkt-Fuge. Ach, könnte ich es hören, was gäb ich wohl darum!
Übrigens muß ich Dir doch noch sagen, daß ich den Klavierauszug vortrefflich finde, und nur Dir kann ein solcher mangelhaft erscheinen, weil Du eben alles im Sinn hast.
Der Esel ist Bagge – ! Ich habe natürlich mit Härtels nicht darüber gesprochen, da bin ich viel zu stolz für dich.
Julie geht nicht mit mir, sie fühlt sich bei Frau Feidel sehr behaglich, lernt viel bei Lachner, auch bei Koning im Zusammenspiel, und war aber auch leider wieder 14 Tage lang sehr unwohl, da sie sich mit Lernen aller Art sehr überanstrengt hatte. Wir waren doppelt bestürzt darüber, als sie den ganzen Sommer kein einziges Mal wirklich unwohl war. So ist ihr denn die Ruhe wohltätiger, als es diese Reise sein könnte. Mit Ludwig gab es schon ’mal wieder Streitigkeiten, Levi hat sie aber geschlichtet, und so lange Ludwig unter seiner Aufsicht, bin ich ruhiger, als ich’s sonst wäre.
Ich habe übrigens die Zeit her schon wieder mein tüchtiges Teil Sorgen gehabt, und oft sinkt mir doch recht der Lebensmut, Gott sei Dank aber dauert dies nur momentan – mein Häuschen mit allem was im Sommer darin, erhellt dann wieder den trüben Horizont.
. . . . Hiller konnte ich Dein Requiem nicht zeigen, weil er nicht hier war, und ich ihn nur einmal einige Stunden sah, ehe ich es erhalten hatte. Er hat mir eine Menge Sachen von sich gezeigt, und zu meiner wirklichen Freude darunter einige hübsche à 4/m-Sachen, freilich nur Kleinigkeiten. Er ist so wahrhaft freundschaftlich immer gegen mich, daß ich froh war ’mal loben zu können.
Grüße doch, wenn Du wieder schreibst, die Deinigen – hoffentlich hast du jetzt Nachricht erhalten und alles ist wohl.
Frau Streicher schrieb mir neulich – grüße auch sie und Herrn Streicher. Sind die neuen Instrumente wirklich so schön? Sie schreibt mir ganz entzückt darüber.
Möchtest Du meiner recht oft in der nächsten schweren Zeit gedenken und mich mit Briefen erfreuen.
Leb froh, lieber Johannes und sei gegrüßt von Herzen von Deiner
Clara.
Wer sind wieder Deine Schülerinnen?

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Düsseldorf
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1052-1055

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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