23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 23111
Geschrieben am: Dienstag 26.02.1867
 

London, den 26. Februar 1867.
17 Half Moon Street. Piccadilly.
Wie froh bin ich, endlich ’mal ein ruhiges Abendstündchen für Dich, liebster Johannes, zu finden, und doppelt froh heute, wo ich Dir melden kann, daß gestern Dein Sextett im Popular-Konzert hier sehr glücklich vom Stapel gelaufen ist. Joachim hatte es natürlich schön einstudiert und spielte es selbst herrlich, und die Aufnahme war eine enthusiastische, namentlich nach den ersten drei Sätzen. Das Scherzo wurde da capo verlangt, Joachim wollte aber das Publikum für den letzten Satz noch frisch erhalten, und wiederholte es daher nicht. Ich hatte eine große Freude dabei, hätte nur gar zu gern mit die erste Geige gespielt. Ich wollte nämlich eigentlich das A dur-Quartett spielen, Joachim bestand aber auf dem Sextett, welches er als erstes Werk hier aufzuführen für günstiger hielt – ich ließ es mir aber sehr ungern nehmen. Nun schließlich ist dies so schön ausgefallen, und das ist ja die Hauptsache – im Grunde genommen habe ich doch mitgespielt.
Ehe ich Dir nun sonstiges erzähle, muß ich Dir den richtigen Empfang Deines Briefes hierher melden. Derselbe hat mich freilich nur teilweise erfreut; es sprach eine so trübe, fast bittere Stimmung daraus, daß es mir weh tat, und nur der Gedanke, daß diese Stimmung wohl nur eine momentane sei, vermochte mich darüber zu beruhigen. Du kannst über freilich mancher Misere des Lebens doch nicht des vielen Guten vergessen, was Dir teils wiederfahren, teils immer wieder von neuem wiederfährt, und, neben Vater und Mutter, die freilich nicht zu ersetzen, hast Du doch einige wahrhaft treue Freunde, die zu Dir standen seit Jahren, und immer zu Dir stehen werden. Ich meine, mit ein paar solchen Freunden, und dazu einem solchen Schatze von Geistesgaben, wie Du sie besitzest, könne man doch nicht einsam im Leben stehen, wenn man nicht selbst sich in sich verschließt. Ich hoffe, Du gibst Dich solch bitterer Stimmung nicht oft hin, . . . . .
Mit Freude hörte ich, daß Dein Sextett in Wien mit großem Beifall aufgeführt wurde – wurde es Dir nach Wunsch ausgeführt? Und wo bist Du jetzt? In Graz oder Pest?
Sehr unangenehm überrascht war ich, von Dir zu hören, daß Du alle ernsten Schritte zur Aufführung Deines Requiems aufgegeben? Ich glaubte Dich in vollem Zuge. Was soll denn bei einer Aufführung in Zürich herauskommen? Du sagtest ja immer, es liege Dir gerade an einer Aufführung in Wien oder Berlin. – Da muß ich Dir doch erzählen, oder ausrichten von Joachim, daß ein großer Musikenthusiast, ein Engländer, den er in Frankreich traf und von Deinem Requiem erzählte, ihn frug, ob Du es wohl annehmen würdest, wenn er zur Bestreitung der Kosten einer Aufführung 1 000 Franken beisteuere? Ich finde darin durchaus nichts Verletzendes! Künstler und gar Komponisten sind nun einmal in Deutschland nie so gestellt, daß sie solche Aufführungen aus eignen Mitteln bestreiten könnten! Was sagst Du dazu?
Von mir kann ich Dir so weit Gutes erzählen, daß ich eine wahrhaft enthusiastische Aufnahme hier gefunden, die sich bei jedem Auftreten wiederholt. In den Provinzstädten ist es mir ebenfalls sehr gut ergangen; die Reisen selbst, so ermüdend sie auch oft waren, so war uns im übrigen alles so komfortabel wie möglich gemacht. Chappel benimmt sich so nobel, wie ein echter Geschäftsmann es nur irgend kann. Die Soireen selbst waren immer sehr nach unserm Wunsche; nur gute Sachen, freilich manchmal 2- oder 3 mal hintereinander dasselbe Programm, eine Anordnung, die wieder ihre geschäftlichen Gründe hat. Wir haben bei diesen Reisen manche schöne Orte gesehen, vor allem Edinburg und Torquay, jedes in seiner Art herrlich. Leider waren wir an beiden Orten so kurze Zeit, daß wir nichts von der wunderbaren Natur näher besichtigen konnten, ich gehe aber nächste Woche auf 2 Tage nach Edinburg und will dann nachholen. Ich gebe dort ein Rezital (wo ich allein 1 1/2 Stunde spiele). Das Schloß der Maria Stuart, Holyrood, haben wir aber doch gesehen und das wundervolle Shakespearedenkmal, zu dem das ganze Land beigesteuert hat. – Gott sei Dank habe ich ein gutes Teil meiner Engagements überstanden, die Anstrengungen waren oft sehr groß, weil es gewöhnlich so eingerichtet war, daß wir drei Tage nacheinander jeden Tag in einer andern Stadt spielten, also jeden Tag 4, 5 auch 6 Stunden Reise hatten. Joachim hat nun noch länger das Engagement angenommen gehabt, spielt häufig fünfmal in einer Woche, und genügt dabei noch allen möglichen geselligen Ansprüchen. Wie er es aushält, begreife ich nicht, er sieht aber auch oft furchtbar abgehetzt aus. Ich halte nun hier ganz und gar den Grundsatz fest, daß ich meine Kräfte nicht in unerquicklichem geselligen Verkehr zersplittere, schone mich an den Konzerttagen so viel als möglich, und nur so halte ich es aus, und bin immer wieder frisch und warm bei der Musik. Über was man hier am wenigsten zu klagen hat, ist das Publikum, künstlerische Anregung aber die fehlt einem hier gänzlich, denn man macht nur Musik, um zu verdienen, und das drückt mich oft ganz nieder. Ich glaube sicher, ich ginge unter, müßte ich hier leben. Man redet mir ungeheuer zu, zur Saison hier zu bleiben, ich habe aber entschieden erklärt, daß ich es nicht tue. Leicht ist es nicht, fest zu bleiben, denn ich würde in der Saison viel verdienen können, aber ich würde mir an Körper und Geist schaden und möchte doch das bißchen Verstand noch zusammenhalten.
Ich werde also bis zur Osterwoche nur hier bleiben, und dann gerade so viel verdient haben, daß ich dem nächsten halben Jahre ruhig entgegensehe. Zurücklegen glaube ich aber kaum zu können.
Von den Meinigen hatte ich immer gute Nachrichten. . . . . Ferdinand bewährt sich vortrefflich, auch Ludwigs Herr ist zufrieden. Felix ergötzt uns durch seine Briefe oft, in denen eine tüchtige Natur sich ausspricht, Julie wird gehegt und gepflegt und studiert fleißig bei Lachner, und Elise musiziert viel außer ihren Stunden.
Joachim geht am 26. März wieder nach Frankreich, und zwar in die Provinzen. Er hat diesen Winter viel verdient, was mich herzlich freut, hoffentlich hat er tüchtig zurückgelegt. Er spricht ernst davon, nach Berlin zu ziehen . . . . .
Nun habe ich Dir aber genug geplaudert! Wirst Du mich recht bald mit einem langen Briefe erfreuen? Oder, bist Du nicht aufgelegt, einem kurzen. Ich sehne mich nach Nachricht von Dir! –
Gehe es Dir recht gut, liebster Johannes, und mögest Du liebend gedenken
Deiner
Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: London
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1055-1060

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



Wir verwenden Cookies, um Ihnen den bestmöglichen Service zu gewährleisten (Mehr Informationen).
Wenn Sie auf unserer Seite weitersurfen, stimmen Sie bitte der Cookie-Nutzung zu. Ich stimme zu.