23.01.2024

Briefe



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ID: 23115
Geschrieben am: Donnerstag 03.10.1867
 

Baden-Baden, den 3. Oktober 1867.
Lieber Johannes,
da sind ja nun all die schönen Sachen gekommen, aber wie en masse, recht à la Brahms! Mein erstes Gefühl (ich muß es sagen) war Entsetzen über die Ausgaben, welche Du Dir gemacht, und so reizend die Körbchen auch sind (sie fanden reißenden Abgang), so bleibt es mir doch peinlich, daß Du so viel ausgegeben. Über das andere aber konnte ich mich herzlich freuen, das Lied, der Kranz, die Veilchen – das war zart! Hab’ Dank für alles dies.
Auf Dein letztes Schreiben antworte ich heute nicht, mag es überhaupt nicht, aber das eine muß ich Dir doch sagen, daß ich nie einen Brief von Dir mit anderem als gütigem Herzen las, also auch nie anderes als Freundliches herauslesen mochte, aber zuweilen ist es sehr schwer, fast unmöglich. Doch ich will nichts weiter sagen, also zu anderem.
Das Requiem habe ich heute abgeschickt – ich hoffe, es ist nicht zu fehlerhaft kopiert. Ich bin jetzt so enorm mit Reisevorbereitungen beschäftigt, daß ich’s nicht genau durchsehen konnte.
Daß Du es ganz wiederhaben wolltest, hatte ich gar nicht gedacht, wollte es aber auch nicht gern wieder herleihen, da es mir so lieb ist – es ist also so für Dich wie für mich besser.
Die beiden jungen Mädchen kommen nicht, die eine schrieb, sie habe gehört, Du werdest diesen Winter nicht immer in Wien sein, und da wolle sie es nicht riskieren, die andere aber kann nicht deutsch – das ist denn doch schlimm! – Sie will jetzt nach Berlin und bei Tausig versuchen. Ich glaube übrigens mehr und mehr, Poesie bekommt sie nie – sie fragt z. B. ganz naiv, wie man denn das anfange, sich bei der Musik etwas zu denken.
Meine Pläne haben sich nun plötzlich festgestellt. Stockhausen schrieb mir in so netter Weise, ob wir uns nicht wieder zu Konzerten vereinigen wollen, daß ich um so weniger abschlagen mochte, als es mir ja eine künstlerische Freude ist. Ich gehe nun also am 12ten nach Hamburg, bleibe dort vier Wochen, um teils dort, teils in naheliegenden Städten, Kiel, Lübeck, Schwerin etc. Konzerte zu geben, dann gehen wir Mitte November nach Berlin, Dresden, Leipzig etc. Unterdes wird Weihnachten herankommen, welches ich diesmal in Frankfurt mit Elise, Julie und Feidels (wo Julie vorigen Winter war) verleben möchte. Das Weitere ist noch nicht bestimmt.
Daß Rubinstein diesen Winter in Deutschland reisen will, hast Du wohl gehört? Er kommt auch nach Wien. Seine Frau und Kind bleiben diesen Winter hier. –
Von hier kann ich Dir übrigens etwas musikalisch Interessantes berichten. Frau Viardot hat 3 kleine Operetten geschrieben, wovon sie zweie mit ihren Kindern und Schülern aufgeführt hat. Ich habe beide Opern jede dreimal gehört, und immer mit derselben Freude. Mit welchem Geschick, feinsinnig, anmutig, abgerundet das alles gemacht ist, dabei oft amüsantester Humor, das ist doch wunderbar! Die Texte sind von Turgenjew, der auch mitspielte, und kaum hat sie das alles aufgeschrieben, spielt es nur so aus Skizzen-Blättern! Und wie hat sie das einstudiert, die Kinder, wie sind sie bezaubernd, der Junge ein wahres Komiker-Genie! Überall in der Begleitung hört man die Instrumentation heraus – kurz, ich fand wieder bestätigt, was ich immer gesagt, sie ist die genialste Frau, die mir je vorgekommen, und wenn ich sie so sitzen sah am Klavier, das alles mit der größten Leichtigkeit leitend, so wurde mir so weich ums Herz, und ich hätte sie vor Rührung an mich drücken mögen. Leider aber kommt man kaum zu einem Worte, da sie immer von Leuten umgeben, die ihr schöne Phrasen sagen und fast, glaube ich, ihr lieber sind, als ein ehrliches deutsches Musikantenwort. Joachim fängt dieser Tage schon seine Konzerttour an – ich freue mich zwar nicht auf die meinige, aber aufs Fortgehen, denn wir haben die furchtbarste Kälte seit 5 Tagen und heizen den ganzen Tag.
Julie ist vor einigen Tagen nach Divonne gereist, wo sie Frau Schlumberger getroffen. Sie soll dort die herrliche Luft und etwas Kaltwasser-Kur gebrauchen. Es ging ihr diesen Sommer sehr schlecht, die Ärzte bleiben aber alle (auch der in Divonne) dabei, daß ihre Organe alle gesund sind und nur auf Kräftigung der Nerven hingearbeitet werden muß. Der Himmel gebe glücklichen Erfolg! Wir sind uns diesen Sommer so innerlich nahe gekommen, daß mir die Trennung unendlich schwer geworden ist, und ihr nicht weniger. Überhaupt fühle ich aber den innersten Zusammenhang mit den Kindern immer beglückender. Sogar Felix erfreut mich jetzt durch die zärtlichsten Briefe, aus denen übrigens immer ein bedeutender Kopf spricht. Er ist nach Untersekunda versetzt und wird wohl mit 16 1/2 Jahren mit dem Gymnasium durch sein.
Nun, da habe ich wieder ’mal geplaudert – es wird wohl für längere Zeit die letzte wirklich ruhige Stunde gewesen sein! – Die Konzert-Korrespondenz ist schon wieder im vollsten Gange und alle sonstigen Reisevorbereitungen. Ich reise am 11. von hier, bleibe 3 Tage in Frankfurt und komme am 15. nach Hamburg, wo ich die Deinigen gleich zu sehen hoffe. Dein Vater wird mich doch besuchen?
Mit herzlichen Grüßen
Deine immer treue
Clara.
Wie geht es Flatz, Gänsbacher, Lewinsky, Faber, Hanslick? Grüße doch ’mal alle von mir.
Levi ist sehr wohl, auch Allgeyer – sie wollten Dir beide schreiben.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Baden-Baden
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1072-1076

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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