23.01.2024

Briefe



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ID: 23116
Geschrieben am: Mittwoch 13.11.1867
 

Hamburg, den 13. November 1867.
Liebster Johannes,
es ist heute der letzte Tag in Hamburg, und ich sage mir, nachdem ich wochenlang auf ein ruhiges Stündchen für Dich gehofft, besser wenig als gar nicht! Glaube mir aber, daß, kommt er auch spät, der Dank doch noch ebenso warm von Herzen kommt, als am ersten Tage nach Empfang Deines Briefes und der wunderschönen Lieder, die mir, namentlich das in Fis moll, wieder ganz originell erschienen. Ich ziehe das letztere dem E dur vor; obgleich ich die erste Hälfte wundervoll finde, so erscheint mir die Melodie der zweiten in A dur weniger schwungvoll, weniger erwärmend. Habe Dank, innigen Händedruck für die Sendung, die mich, und gerade hier, so ganz besonders erfreute, obgleich ich das Fis moll-Lied noch nie ganz durchgebracht, ohne daß mir die Tränen kommen, was freilich, wie Du sagen wirst, leicht geschieht. Daß die Stimmung darin Deine eigene sei, glaube ich nur, so lange Du es schriebst – es wäre mir ein großer Schmerz, sollte ich glauben müssen, Du empfändest oft so! nein, lieber Johannes, Du, ein Mann von der Begabung, in der Blüte der Jahre, das Leben noch vor sich, darfst keinen so grüblerischen Gedanken Raum geben.
Gründe Dir bald einen Hausstand. Nimm Dir in Wien ein wohlhabendes Mädchen (es wird sich doch wohl auch eine solche finden, die Du lieben kannst), und Du wirst wieder heitrer werden, und, mit manchen Sorgen freilich, doch auch Freuden kennen lernen, die Du nicht kanntest bis jetzt, und das Leben dann mit neuer Liebe umfassen. Schließlich beschränkt sich denn doch der Begriff irdischen Glückes nur auf das Leben zu Haus – ich wollte, Du schafftest Dir ein solches, jetzt wäre es die beste Zeit dazu.
Elise habe ich öfter gesehen und mich erfreut an ihrem guten Aussehen, und wie sie sich doch so in das einsame Leben mit Heiterkeit gefunden. Sie freut sich ungeheuer, daß Du nach Weihnachten kommen willst. Ist dies ernstlich Deine Absicht?
Du lebst jetzt wohl eine schöne Zeit mit dem lieben Joachim, den Du ja recht schön von mir grüßen mögest. Euer erstes Konzert ist gewiß herrlich ausgefallen!
Könnte ich doch das Requiem am 1. Dezember hören! Da werde ich mit all meinen Gedanken bei Dir sein.
Ich reise nun morgen von hier, nachdem wir ganz volle Konzerte gegeben. Merkwürdig ist es mit dem hiesigen Publikum, es hat so viel Liebhaberei für Musik, denn es kommt ja immer wieder, äußert es aber so wenig, daß man zuweilen innerlich gefrieren könnte, namentlich bei Sachen, die sie nicht kennen.
Nun, Du kennst es ja!
Gesehen habe ich hier wenig Leute, nur bei Halliers, Avés und Bernuths waren wir einen Abend, öfter im Thalia-Theater, dann haben wir einige Abstecher nach Lübeck und Kiel gemacht, die sehr schön ausfielen; im übrigen hatte ich die ganze Zeit eine endlose Korrespondenz betreffs der Konzerte, die wir jetzt bis Weihnachten geben wollen, was zu ordnen keine leichte Sache war . . . Morgen reise ich nach Berlin, dann am 18. nach Schwerin, wo ich bis 27. bleibe, dann Hannover, Braunschweig, Leipzig, Dresden, Köln etc., am 17. Dezember zur Beethovenfeier in Köln, was mich freut.
Deine Bücher und Noten, läßt Dir Stockhausen sagen, mögest Du doch holen lassen, wenn Du wollest, er läßt Dich bestens grüßen. . . . .
Daß Marie und Elise in Paris waren, hat Dir vielleicht Joachim erzählt. Sie waren ganz voll von ihrem Aufenthalt dort, haben gelebt und genossen wie die Götter. – Von Julie lauten die Nachrichten recht erfreulich, die Kur bekommt ihr augenscheinlich gut, und soll sie bis Weihnachten in Divonne bleiben. Auch sonst geht alles gut, nur ich selbst bin gar nicht wohl, doch, solange ich tätig sein kann, will ich nicht klagen, das ist ja doch die Hauptsache.
Vergilt nicht Schweigen mit Schweigen, lieber Johannes, Du weißt, wenn ich schweige, so ist es nie Bummelei, sondern Zeitmangel und, ge der vielen Anstrengungen, Abspannung oft, wo ich Dir am wenigsten schreiben mag.
Leb’ wohl, es gehe Dir alles recht nach Wunsch – schicke auch recht viel zu neuen Staatspapieren!!!
In alter Treue
Deine Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Hamburg
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1077-1081

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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