23.01.2024

Briefe



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ID: 23120
Geschrieben am: Sonntag 02.02.1868
 

Liebe Clara,
Dein Brüsseler Brief reiste grade nach Wien als ich hierher fuhr so habe ich ihn etwas lange entbehren müssen.
Könntest Du am Charfreitag zuhören daß [sic] wäre mir eine ganz unglaubliche u. große Freude. Das wäre mir die halbe Aufführung! Geht es dann gar etwas nach Wunsch, so solltest Du Dich wohl wundern u. freuen. Aber leider bin ich nicht der Mensch der mehr erlangt als die Leute ihm gutmüthig von selbst geben u. das ist immer sehr wenig.
So mache ich mich denn auch gefaßt daß es diesmal wie in Wien eilig, zu eilig u. flüchtig hergeht; Aber komm nur!!
|2| Daß Euer Weihnachtsfest ohne Julie gefeiert werde habe ich nicht gedacht. Wie traurig für Dich, das arme Mädchen, (an das man wirklich nicht wohl ohne einige Schwärmerei denken kann,[)] so weit u. dazu leidend zu wissen.
Und wenn man Julie sieht, glaubt man alle Krankheit weit, trotz ihrer Zartheit. Von gewissen Zeit-Perioden möchte ich immer viel hoffen. Nun, ausgewachsen ist Julie wohl aber ich hätte doch an Deiner Stelle noch eine tröstliche Hoffnung – kann nur nicht wohl mit Dir darüber plaudern.
Ich bin jetzt grade sehr in Versuchung mir in Wien eine unmöblirte Wohnung zu nehmen, das heißt Entschluß faßen! Wie viel wäre es mir werth zu wißen ob Du nicht bald mehr oder weniger dahin überzusiedeln denkst. Ich meine es spricht Vieles dafür u. im nächsten Jahr |3| scheint mir grade ein passender Zeitpunkt für Dich gekommen zu sein.
Trotzdem <Du> was Du geantwortet, möchte ich Dich immer bitten daran zu denken daß Dein unruhiges Leben mit der Zeit aufhören muß.
Es darf Dir nur ein Grund gelten, u. der gilt auch für Alle u. für mich: ob Du nöthig hast für Dich in dieser Weise Geld zu verdienen. Alles Andre, meine ich, darf weder Dir noch Andern mitsprechen. Auch nicht wie Du Deine Kraft fühlst u. A.
Du darfst Dir sagen wie Vieles auf Täuschung u Gewohnheit beruhen mag; Ich sage Dir dies nicht, weil ich Dich ja nicht öffentlich höre u. mir auch aus vielen Gründen durchaus kein Urtheil zutrauen würde.
Ich werde jedenfalls der Einzige sein u. bleiben, der Dir hiervon überhaupt spricht, aber ich möchte Dich bitten Dir das Unausbleibliche |4| immer gegenwärtig zu halten u. nur den einen Grund gültig zu nennen u. Deine Entschlüße bestimmen zu lassen. Laß Andre in ähnlichem Fall Dir Beispiel sein u. glaube nicht an eine Ausnahme.
Doch hoffentlich plaudern wir einmal bald wieder u. noch gewisser glaubst Du daß nicht der kleinste theilnahmlose unfreundliche Gedanke für Dich in mir sein kann.
Frau Rösing in Ham zieht jetzt (Mai) nach Hannover. Sage einmal was fangen wir mit Robert’s Flügel an, den die gute Frau so lange aufbewahrt hat. Ich weiß ihn hier natürlich nicht zu lassen, Platz ist Geld.
Aber Du hast in Baden auch keinen Platz für ein so werthes, aber so umfängliches Andenken.
Ja, auch das Verkaufen ist hier fast unmöglich, wie mir Heins sagt, und man denkt kaum gern daran. Schreibe mir doch ja u bald darüber. Lebte ich hier, so |5| würde ich <so> nicht daran denken ihn weg zu geben, aber jetzt muß ich mich ja entschließen – u. Du?
Ferner, wenn es Dir der Mühe werth ist, möchte ich erzählen, daß ich aus meinem, noch ganz guten Pelzrock herausgewachsen bin u. ihn eigentlich seit Langem nicht gebrauche. Könnte Ferdinand oder Felix ihn <gebr> benutzen und wo wohnen diese überhaupt in Berlin, ich denke doch gelegentlich hin zu fahren.
Schließlich wüßte ich gern Beispielsweise die Honorare etwa für Paradies u. Peri, das Requiem <cf> oder ähnliches von Deinem Mann. Ich habe nämlich keine Idee was ich für m. Requiem (in oder exclusive 2 u. 4händ. Arrangement) verlange.
Und <Du> ┌nun┐ womit ich als guter Sohn u. Bruder hätte anfangen müßen: Ich fand hier |6| hier Alles wohl u. munter, wohne beim Vater u. habe bisweilen ein ganz wohliges Gefühl wenn ich so herum bummele. M. Schwester verspricht mir noch besondre Sorge zu machen, da sie höchst unglückliche Heirathsgedanken hat!
Doch hoffentlich geht auch dieser Kelch vorüber, es ist doch genug, wenn ich diesen wohl schmeckenden Kelch ihrethalb nicht an meinen Mund setze.
So laß denn recht bald hören u. laß mir die Hoffnung Du hörst am 10ten April zu. Es ist ja auch ┌nicht┐ blos ums Hören, das Sehen ist mir eben so wichtig.
In aller Liebe
Dein
Johannes

  Absender: Brahms, Johannes (246)
  Absendeort: Hamburg
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
Empfangsort: London
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1088-1091

  Standort/Quelle:*) D-B: Mus. Nachl. K. Schumann 7, 143
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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