23.01.2024

Briefe



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ID: 23121
Geschrieben am: Donnerstag 19.03.1868
 

London, den 19. März 1868.
186 Piccadilly.
Lieber Johannes,
es ist lang geworden, ehe ich dazu komme, Deinen Brief zu beantworten, und was alles liegt dazwischen, Freudiges und Trauriges – eine schwere Zeit der Sorgen, wovon Du wohl etwas in Berlin wirst erfahren haben. Ich mag gar nicht davon anfangen, denn da ist dann kein Ende. Übrigens habe ich mit Felix doch gute Hoffnung, daß er sich den Sommer bei uns wieder ganz erholen wird, aber was noch mit Ludwig werden wird, darüber bin ich wirklich ganz ratlos. Jetzt hat er nun wirklich doch wieder eine Stelle in Leipzig bekommen, aber, wie lange wird es dauern? Wie verschieden das ist, der eine macht mir die Sorgen durchs Bummeln, nicht arbeiten wollen, der andere durchs Überarbeiten! Ein Glück war es, daß ich darauf drang, daß Felix zu einem ordentlichen Arzt mußte, weil er mir im Herbst schon aufgefallen war, und der hat es denn auch gleich sehr ernst genommen. Julie ist nun seit 3 Wochen in Frankfurt und scheint sich viel besser als vorigen Sommer zu befinden. So wogt es eben immer auf und ab, und das arme Mutterherz kommt keinen Augenblick zur Ruhe. Daß mich die vielen Sorgen gerade hier trafen, war doppelt schwer, doch der Kampf erhöht auch wieder die Spannkraft, das habe ich hier wieder ’mal erfahren.
Ich schreibe aber gleich von uns, und wollte eigentlich doch gerne mit Dir von Dir plaudern. Du gibst also jetzt Konzerte mit Stockhausen! Wie kam das? Und wie kam es, daß Du im Philharmonischen Konzert in Hamburg spieltest? Ich höre, Du willst mit Stockhausen nach Kopenhagen? Wie ging es in Berlin und Dresden? Hier erfährt man als Dame, die doch in keinen Lesezirkel und Musikalienhandlungen kommt, gar nicht. Sage mir bald was. Hast Du schon Requiemproben in Bremen gehabt? Ach, wie ist mir das wieder durch all die Begebenheiten in die Ferne gerückt! Die Sorgen liegen wieder ’mal so schwer auf mir, und werden der Ausgaben diesen Sommer so viele extra sein, daß ich kaum an eigne Freuden und Genüsse denken kann. So kommt einem oft das Traurige, wo man es am wenigsten erwartet hat! –
Also wirklich in Wien willst Du Dich nun häuslich niederlassen? Ich finde es so übel nicht, möchte schon auch dort leben, fände ich dort, was ich brauche. Ich habe es viel mit Freunden dort beraten, aber schließlich mußte ich doch immer wieder von dem Gedanken dort abstehen. Du scheinst eigentlich auch der Einbildung zu leben, ich hätte wohl eigentlich genug und reiste nur noch zu meinem Vergnügen. Solche Anstrengungen mutet man sich aber denn doch nicht zum Vergnügen zu. Abgesehen aber davon, so wäre doch wohl jetzt, inmitten meiner größten und erfolgreichsten Tätigkeit, kaum der Zeitpunkt, mich, wie Du mir rätst, von der Öffentlichkeit zurückzuziehen. Ich war gerade diese letzten Jahre überall mit solch ’ner Wärme aufgenommen, alle Konzerte so voll (aus Mitleid bezahlen die Leute keine Konzerte), und spielte ich immer, mit ganz wenig Ausnahmen, so glücklich, daß ich kaum wüßte, warum ich gerade jetzt aufhören müßte. Ich begreife nicht, was Dich darauf gebracht haben kann, als könne ich nicht mehr wie früher? Doch nicht etwa mißliebige Rezensenten? Mir können nur Künstler von Fach maßgebend sein, und gerade von solchen wurde mir die Freude jetzt mehr als je, daß sie mir versicherten, sie haben mich nie so schön, so geistig wie technisch über den Werken stehend gehört, als jetzt. Und das waren Leute, die durchaus keine Veranlassung hatten, mir solches zu sagen, denen ich anfühlen konnte, es kam ihnen vom Herzen. – Wenn Du mir sagst, ich solle nicht glauben, eine Ausnahme machen zu wollen, indem ich dächte, immer jung zu bleiben, so ist dieser Vorwurf so falsch angebracht, daß ich mich kaum verteidigen mag. Du weißt es ja auch zu gut, daß es an dem nicht ist, denn oft genug habe ich mich ja gegen Dich darüber ausgesprochen. Ich werde mir aber ehestens◊9 die Sache bedenken, kann jedoch erst prüfen, wenn ich überhaupt erst weiß, welche Gründe Dich bewogen, mir dies alles zu sagen, und warum Du es zu einer Zeit tatest, wo es möglicherweise einen Eindruck auf mich machen konnte, der meine Tatkraft gänzlich lähmte, wenn nicht andrerseits das Gegengewicht, die außerordentliche Aufnahme von allen Seiten, mir die Sicherheit bewahrt hätte. Das war unüberlegt von Dir, – mehr will ich gar nicht sagen.
Einige Deiner Fragen kann ich leider nicht genügend beantworten, die Honorare muß ich erst zu Haus im Buch nachsehen, wohin aber mit dem Graff, das weiß ich im Moment nicht. Lasse ihn einstweilen zu Heins stellen, wenn ich zurückkomme, will ich Weiteres bedenken! Den Pelz sende mir nur gelegentlich nach Baden – willst Du ihn gern jetzt los sein, so schicke ihn: Lichtenthal Nr. 12 an Herrn Pastor Schwarz für mich. Ich werde schon wissen, was damit anfangen.
Mit Deiner Schwester, das hat mich erstaunt, und doch, wenn man so recht darüber denkt, wie allein das arme Mädchen steht, so kann man ihr den Gedanken nicht so sehr verargen. Es fragt sich freilich, welcher Art ihre Wahl ist! –
Grüße Sie doch ja von uns.
Unser Aufenthalt hier nähert sich seinem Ende, am 30. spielen Joachim und ich zum letztenmal öffentlich, am 3. April wollen wir zusammen nach Brüssel. Er spielt dort, und ich will ein paar Tage bei Kufferaths bleiben, dann zu Frl. Leser, von wo aus ich noch einen kleinen Abstecher nach Crefeld, wo ich engagiert bin, machen will, und dann wohl nach Frankfurt gehe, Julie zu sehen, die ich nun seit Oktober nicht gesehen, und mich sehr nach ihr sehne. Sie scheint es sicher zu ten, daß ich sie besuche, ehe ich nach Karlsbad gehe, und ist der Anspruch auch gerecht, sie hat so viel entbehrt.
Ich adressiere dieses an Stockhausen, ich denke, wenn Ihr zusammen etwa in Kopenhagen seid, so ist dies das Sicherste. Meine Adresse ist bis 3. April hier, wie oben bemerkt, dann Frl. Leser.
Lebe wohl für heute! Es gehe Dir recht gut! Manch lustige Stunde wird’s wohl bei Euch geben, und Kopenhagen wird Dir Freude machen.
Grüße Stockhausen, und sei Du zumeist gegrüßt von
Deiner Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: London
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Hamburg
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1091-1096

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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