23.01.2024

Briefe



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ID: 23125
Geschrieben am: Freitag 04.09.1868
 

Baden-Baden, den 4. September 1868.
Lieber Johannes,
Dein letzter Brief veranlaßt mich heute, einiges zu berühren, was ich lieber vermieden, Du zwingst mich jedoch dazu, indem Du geneigt scheinst, meinem Benehmen Dir gegenüber einen Umstand unterzuschieben, der aber mit diesem gar nichts zu tun hat. Wie kannst Du von Haß sprechen, wo ich Dich nach jenem allerdings sehr verletzenden Briefe – über den wohl kaum ein Mann von Gefühl, läse er ihn, lachen würde – einen neuen Beweis meines warmen Interesse für Dein Wirken wieder gegeben, kaum von ermüdender Reise zurückgekehrt nicht diese Neue scheute. Das hat also keinen Sinn. Überhaupt aber kann ich, Gott sei Dank, behaupten, daß solch ein niedriges Gefühl wie Haß nie in unseren Herzen einen Fuß fassen könnte. Daß ich mich seit zwei Jahren, also lange vor jenem Briefe, zurückzog, geschah infolge Deines letzten Besuches hier. Du schienst Dich so unbehaglich bei uns zu fühlen, warst nicht etwa momentan, was im Verkehr unter Freunden nicht in Betracht kommen kann, sondern anhaltend, Tag für Tag, Wochen lang, so verstimmt, dachtest so wenig daran, mich zu erheitern, überhaupt uns Deine Besuche als Freund wohltuend empfinden zu lassen, daß es wirklich eine unbehagliche, ja traurige Zeit auch für uns wurde. Ein solches Zusammenleben war zu unnatürlich, als daß ich es hätte mögen noch ’mal herbeiführen – es wäre auch unter meiner Würde. Dies meine offene Erklärung – ich verstehe es nicht, mich in diplomatischen Wendungen zu äußern, finde das aber überdies auch unerquicklich und gar nicht freundschaftlich.
Nun aber zu Anderem. Nach Wien gehe ich Anfang November – kann nicht anders, weil ich Ende Januar wieder in England sein will und im Januar in Belgien konzertieren werde. Daß Du wieder nach Wien wolltest, dachte ich gar nicht, da Du mir neulich ’mal schriebst, Du wollest in Hamburg bleiben.
Sehr interessiert hat mich Deine Mitteilung über den Rinaldo, und freut mich sehr, wenn der auch noch ’mal zu Ehren kommt. Wenn die Lieder bei Simrock erscheinen, läßt Du sie mir wohl schicken, bitte. Hillers Krankheit, die mir doch einen schlagähnlichen Charakter zu haben scheint, hat mich sehr bestürzt – wenn ihm nur nichts davon zurückbleibt! –
Von Stockhausen weiß ich nichts, denke auch nicht daran, mit ihm in Wien Konzerte zu geben; das wäre in dem kleinen Saale dort unpraktisch – zu unserer Beider Schaden – leider müssen wir ja rechnen.
Ich vermute, Stockhausen ist in Interlaken.
Du schreibst von Kirchners Verheiratung, ich hörte einstweilen nur von Verlobung.
Als Dein Teil wurde mir Rieters allerliebstes Töchterlein genannt; sie soll wirklich reizend geworden sein, und ist wohlhabend dazu, was für einen Komponisten nötig ist. Hast Du nie daran gedacht? Kann eine Vereinigung unter so günstigen Verhältnissen, innerlich und äußerlich (sie soll Dir sehr geneigt sein) statthaben, so wünschte ich es sehr für Dich, und wird doch auch nun Zeit, meine ich. Du müßtest nicht allein bleiben, aus manchen Gründen – das ist meine Ansicht.
Hier ist jetzt großes Leben, Pferderennen und Wagners Lohengrin, Don Juan etc. Ich höre, Gott sei Dank, nur reden von alledem, den Don Juan freilich sähe ich gern, aber die Preise sind enorm, und schon seit Wochen alles vergeben.
Von Eckert hörte ich neulich ein Violoncell-Konzert, in dem vieles mich sehr angesprochen hat – er könnte gewiß ein gutes Stück daraus machen, wenn er feilen wollte; da sind aber so viele Schmeichler um ihn herum, und ich glaube, es bleibt wie es ist.
Ich sende dieses an Simrock, da ich nicht weiß, wo Du bist. Wäre es in Oldenburg, so grüße Dietrichs herzlich. So leb’ denn wohl, und laß bald wieder von Dir hören.
Deine
Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Baden-Baden
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Berlin
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1112-1115

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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