23.01.2024

Briefe



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ID: 23133
Geschrieben am: Mittwoch 28.04.1869
 

Frankfurt, den 28. April 1869.
Lieber Johannes,
das war eine lange Pause! Seit vielen Wochen lag Dein Brief in meiner Schreibmappe, wanderte überall mit hin, um beantwortet zu werden, und immer kam mir Nötiges dazwischen – Du weißt es ja, wie die Anforderungen an mich sich nur mehren, so daß gar oft der eigne Wunsch hinter der Pflicht zurückbleibt. Zürne mir nicht, und glaube nicht, daß es Nachlässigkeit gewesen. Ich hätte gar gern wieder von Dir direkt gehört, mußte mich aber mit den Zeitungen begnügen. Ich denke, der Winter war in mancher Hinsicht erfreulich und auch ergiebig für Dich. Ihr habt in Wien schöne Konzerte gehabt, aber die Magnus-Stockhausen-Konzerte verstehe ich nicht recht.
Ich bin also, wie Du siehst, wieder in meinem geliebten Deutschland, habe dennoch London mit schwerem Herzen verlassen, weil ich mir liebe Freunde dort gewonnen (wo ich auch im Anfang einige Wochen wohnte), und mit dem Publikum stehe ich mich auch beinah wie mit Freunden. Ich bin nie aufgetreten, wo ich nicht die wärmste Sympathie des ganzen Publikums empfunden hätte, und das ist denn doch für den Künstler außerordentlich wohltuend. Es war nicht ganz leicht, einen „Punkt“ zu machen, aber ich halte immer an meiner Überzeugung, daß ein solches Leben, wie das des Künstlers in London, nur eine Zeitlang ohne äußeren und inneren Schaden angeht, und so setze ich mir immer ein bestimmtes Maß.
Es kostet freilich auch Opfer, so habe ich z. B. diesmal alle Stunden abgeschlagen, obgleich ich jede Stunde mit 1 1/2 Guineen bezahlt bekommen hätte, weil ich fühlte, sie nehmen mir die geistige und körperliche Frische, die ich in den Konzerten so nötig brauchte – nur in den zwei Osterwochen, wo ich nicht öffentlich zu spielen hatte, gab ich einige Stunden. Dafür wurde mir aber die Genugtuung, daß ich mich stets inspiriert in den Konzerten fühlte, und das geht auch wieder auf das Publikum über. – Wie sehr ich mich auf mein Häuschen wieder freue, kannst Du Dir denken; Marie ist mit Eugenie voraus, um alles einzurichten, ich gehe mit Julie nächster Tage nach, so werden wir denn endlich ’mal wieder den ganzen Mai dort verleben, wo Baden so ganz besonders zauberisch ist.
Wo gibst Du Deinen Rinaldo heraus? Bitte, schicke mir die Ungarischen. Die sind schön gestochen, einige neue auch hinzugekommen – ein Liebling von mir, an den ich oft dachte, aber nicht die Melodie finden konnte. Neulich war ich in Köln, wo Hiller und Joachim eine Soirée populaire gaben, die leider wegen der Hillerschen Kündigung, die alle seine Bekannten furchtbar aufgebracht hatte, leer war, wenigstens leer für den Gürzenich. Ich bin begierig, wie die Sache enden wird, ob es gelingen wird, Hillers Bleiben durchzusetzen? Er hat nur zwei Fürsprecher, Wendelstadt und den Bürgermeister. Ich fürchte sehr, Hiller täuscht sich und ist durch die Aufnahme in Wien betört worden. . . . . Das ist eigentlich schlimm in Wien, daß die Leute aus lauter Liebenswürdigkeit jeden Komponisten zuerst jubelnd aufnehmen, ohne auch nur zu fragen, wie die Kompositionen seien.
Von uns kann ich Dir soweit Gutes sagen; ich bin zwar häufig gar nicht wohl, doch wie wenige sind das, wenn sie älter werden. Julie fand ich merkwürdig viel wohler, und sind ihre früheren Leiden wie geschwunden; sie arbeitet, läuft spazieren etc. etc. Ludwig studiert langsam, soviel es seine Gesundheit erlaubt, und ist jetzt ganz befriedigt – ich lasse ihn diesen Sommer jedenfalls ’mal nach Baden kommen. Ferdinand und Felix machen mir beide viel Freude, Felix ist jetzt Obersekundaner geworden, für sein Alter ist das sehr früh. Eugenie ist aus der Pension und scheint mir sehr nett geworden zu sein.
Nun weißt Du alles von uns, laß mich auch bald von Dir hören – vergilt nicht Gleiches mit Gleichem, laß die Pause eine kurze sein.
So leb’ denn wohl, und nimm einen herzlichen Gruß von Deiner
Clara.
Rieter könnte mir nun auch das Requiem schicken! Ich werde es ihm schreiben.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Frankfurt a. Main
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1129-1132

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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