23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 23135
Geschrieben am: Samstag 05.02.1870
 

Düsseldorf, den 5. Februar 1870.
Liebster Johannes,
hab’ Dank für Deinen lieben Gruß, den ich, von Köln zurückkehrend, hier vorfand; ich hatte im Stillen schon immer darauf gehofft. Du hast Dich, was meine englische Reise betrifft, geirrt; ich hatte nie vor, früher als am 9. oder 10. Februar in London einzutreffen, und so verlassen wir denn Düsseldorf am 9., bleiben einen Tag in Brüssel und hoffen, am 10., vielleicht gerade während Du nach Tisch bei schönem Sonnenschein, den wir jetzt alle Tage haben, den Ring entlang schlenderst, den Kanal glücklich zu überschiffen. Sollte Dir in der Zeit zufällig ein Gedanke an mich kommen, so kannst Du mir immer einen besonderen guten Wunsch im Geiste senden. Du denkst Dir übrigens den Kanal breiter, als er ist! Wie manche zwei Stunden durchläuft so ein Brief, ehe er zu einem gelangt, warum nicht ebenso schnell diese zwei über den Kanal? Ich möchte, sie hinderten Dich nie, Grüße an mich abzusenden.
Du weißt ja, wie lieb sie mir sein können.
Von Betty hörtest Du wohl von unserer kalten Rückreise. Schon kurz über Wien hinaus wurde es bitter kalt, und verbrachten wir eine schaurige Nacht, mit dick zugefrorenen Fenstern, und dabei waren wir so traurig, daß uns fast die Worte auf den Lippen erstarben – wir schieden so gar schwer von Wien. Wie lieb war es mir, zu hören, daß Du noch mit Betty gegangen warst – das sind so wahrhaft gute, anspruchslose Menschen und Betty ein durchaus edler Charakter.
Das Wiedersehen mit Ludwig war, wie Du denken kannst, in einer Hinsicht nicht erfreulich für mich, im Gegenteil, als ich ihn zuerst sah, blaß und vernachlässigt aussehend, packte mich ein förmlich krankhafter Schmerz, ich bekämpfte ihn aber nach und nach, um Ludwigs Freude am Wiedersehen nicht zu zerstören. Es ist doch ein furchtbares Gefühl, das des gänzlichen Unvermögens, zu dem Glücke eines Kindes beitragen zu können – nicht ’mal das Traurige verhindern zu können! – Er arbeitet viel zu viel für seinen Zustand, doch helfen die liebevollsten Ermahnungen seiner Wirtin, die sehr gut gegen ihn ist, gar nichts. Er hat nur den einen Gedanken, zu verdienen, und verbringt, wie sie mir erzählt, qualvolle Stunden des Nichtvermögens. Sie redet ihm zu, was sie kann, ich tat es auch wieder auf alle Weise. Die Eltern lassen ihn wieder zu sich kommen. Der Vater ist auch liebevoll für ihn gestimmt, hat aber gar kein Verständnis für seinen Zustand, und die Mutter und die Schwestern haben kein wirkliches Wohlwollen, fühlen sich nur verpflichtet, ihn zu dulden. Vielleicht tue ich ihnen aber unrecht, der Mutter wenigstens!
Hier bekam ich sehr gute Nachrichten von Julie, die u. a. von den Kindern schreibt, daß sie so zärtlich zu ihr seien, daß sie sich oft nicht vor ihren Liebkosungen zu retten wüßte. Wie freut mich dies für Julie wie für die Kinder.
Sehr interessiert hat mich Deine Erzählung von den beiden Künstler-Frauen, aber wie traurig ist das doch, wie dauern mich die armen Männer, denn unordentliche Frauen sind nun doch ’mal das größte Unglück für die Männer; man hat keine Idee, wie weit dieses Übel um sich greift, von Kind auf Kindeskinder übergeht und alles eheliche Glück untergräbt.
Ich muß Dir doch erzählen, daß neulich Deine Tänze (fünfe haben wir gespielt) Furore gemacht, trotzdem ich in Agnes schwer etwas Schwung brachte, ich glaube, der Mangel des ihrigen gab mir ihn doppelt, ich war zum Erschrecken übermütig.
Von Dietrich bekam ich seine Sinfonie und einiges andere, à 4/m.-Sonate und Sonate mit Violine. Die Sinfonie möchte er gern in London aufgeführt haben und bittet mich, dafür zu sprechen. Im Cristal Palace wäre es vielleicht möglich.
Gernsheim hat nur ein Quartett von sich gespielt, was mir ganz gut gefiel, besser als Früheres von ihm. Erfindungskraft ist natürlich keine darin, wo sollte diese auf einmal herkommen, aber doch mehr Stimmung, bestimmte Färbung und hier und da Anmutiges. Max Bruch traf ich in Köln und freute mich an seinem „Schön Ellen“, obgleich mittelmäßig aufgeführt. Aber was mich außerordentlich von ihm freute, war, wie er über Deine Rhapsodie sprach, das war geistvoll und so warm, daß es mich ganz weich stimmte. Du wirst nun denken, das hält bei Frauen nicht schwer, aber es tut’s doch nur das, was von Herzen kömmt. Ich habe Simrock geschrieben und u. a. auch um den Klavierauszug der Rhapsodie gebeten, wenn er fertig sein sollte.
Nun aber zum Schluß! Du siehst, lieber Freund, ich habe keine Gelegenheit abgewartet, sondern ganz gemütlich ein Plauderstündchen mir genommen, tue es mir bald wieder nach. Meine Adresse ist: London, 14 Hyde Park Gate. Kensington W.
Hier danken sie schönstens alle für Deine Grüße, diese natürlich erwidernd. Siehst Du Betty, so grüße sie, auch Fabers herzlich. Vor allem aber sei Du mit dem alten treuen Herzen gegrüßt von
Deiner
Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Düsseldorf
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1139-1142

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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