23.01.2024

Briefe



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ID: 23141
Geschrieben am: Donnerstag 28.07.1870
 

Baden-Baden, den 28. Juli 1870.
Lieber Johannes,
Du kannst Dir denken, welche Täuschung mir Dein eben empfangener Brief war! Seit 8 Tagen, wo ich Deine letzten Zeilen erhielt, erwarteten wir Dich täglich, darum schrieb ich auch nicht nach München. Der Weg über Wildbad wird vielfach zum Reisen benutzt, und da Du selbst schriebst, Du wollest diesen nehmen, so zweifelte ich nicht an Deinem Kommen. Telegraphieren konnte ich nicht, weil man keine Depeschen annimmt, und dachte Dich später auch schon unterwegs. Du konntest Dir wohl eigentlich denken, daß, wenn ich Baden verlassen hätte, ich es Dir geschrieben hätte. Die Briefe, welche Du bekamst, waren die, welche nach dem Briefe kamen, wo Du mir von Wien aus schriebest, Du kommest dort nicht fort. Es rieten mir hier alle, die selbst Häuser haben (Rosenhayns, Viardots, Guaitas), ruhig zu bleiben, da möglicherweise, wenn die Einquartierungen nicht mehr untergebracht werden können, die verschlossenen Häuser doch geöffnet und benutzt werden könnten, und dann alles ruiniert wird. So blieb ich also, doch aber immer ängstlich, weil wir ganz ohne männlichen Schutz sind; Dein Versprechen, zu kommen, war mir daher, so lieb an und für sich, zugleich eine große Beruhigung, und ich dachte, sollten wir schnell fort wollen◊1, so hättest Du uns dann vielleicht in die Schweiz begleitet. Ich habe dort in St. Moritz Logis bestellt, und wäre mir ein Aufenthalt dort sehr nützlich, doch wie gesagt, ich wage mich nicht fort. Wir überlegen täglich deshalb. Wüßte man nur erst ’mal, wo der Krieg beginnt, es ist aber alles so still – man erfährt gar nichts. – Hier ist’s überdies sehr einsam, wie Du denken kannst, denn unter den Familien ist kein Zusammenleben, und für Dich wäre es gar sehr still gewesen, Du hättest nur uns und etwa Viardots gehabt. Arbeiten freilich kann man in solcher Stille, aber es kostet Überwindung, wo einem so Schweres auf der Seele lastet, wie jetzt dieser Krieg.
Ich zwinge mich täglich zur Arbeit, und das ist doch das beste, wenngleich es meine innere Traurigkeit nur momentan betäubt. Es wäre gut, könnte ich fort und wenigstens durch schöne Luft und Berge erfrischt werden. Ferdinand mußte aus dem Geschäft und zum Militär, um, wie er mir versichert, in 4 Wochen auszurücken; er mußte in die Kaserne ziehen und wird jetzt einexerziert. Ich würde mich schämen, darüber zu klagen, daß mir nun auch diese Sorge wird, aber still steht das Mutterherz dabei nicht.
Inliegender Brief liegt seit 8 Tagen hier – ich sende ihn nach Salzburg, mir fällt aber ein, ich tue es lieber extra, damit dieser Brief nicht zu dick wird. Er ist von der Wiener Musikfreunde-Gesellschaft. Sag’ mir doch ja gleich, was drin steht, Du kannst denken, wie begierig ich bin, dies zu wissen.
Vor allem aber sag’ mir, wo Du bleibst.
Doch wohl bei Joachim? In solcher Zeit ist das Bedürfnis, von den Freunden so oft als möglich zu wissen, doppelt groß, immer zu wissen, wo sie weilen, freilich eine geringe Entschädigung für diese selbst! –
Stockhausen schrieb mir neulich gleich nach der Erklärung des Krieges, ich solle doch nach Cannstadt kommen, wo es sicher ganz ruhig bleibe. Das war doch sehr nett von ihm – natürlich aber denke ich nicht daran.
Laß mich bald von Dir hören! Leb’ wohl, lieber Johannes, und denke manchmal an Deine betrübte
Clara.
An Joachim Gruß.
Die nächsten 8 Tage, also bis zum 6. August, ist meine Adresse sicher hier, denn Felix ist hier und geht erst am 5. fort, wenn überhaupt die Gymnasien wieder anfangen, was ich noch nicht weiß.
Die Kinder grüßen.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Baden-Baden
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Salzburg
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1163ff.

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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