23.01.2024

Briefe



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ID: 23153
Geschrieben am: Montag 11.12.1876
 

Breslau, den 11. Dezember 1876.
Teichstraße 3, III. Stock, bei Frau Geheimrätin Storch.
Liebster Johannes,
da bin ich schon wieder, und Du wirst am Ende über Deinen Quälgeist ärgerlich sein, aber es läßt mir nicht Ruhe, und ein Gespräch mit Scholz gestern abend hat mich wieder von neuem so aufgeregt, daß ich gleich heute noch schreiben muß. Könnte man sich doch sprechen, mit dem Schreiben ist es so weitläufig. Scholz meint nun doch auch, er könne es nicht begreifen, wenn Du eine Stellung unter solchen Umständen annähmest. Du bekommst nur mit der Gemeinheit zu tun, solange Tausch am Orte bleibt (schon jetzt greifen sie Dich in Schmähschriften an), er könne nicht einsehen, warum Du Dich dazu hergeben sollest, in dieser verkommenen Musikwirtschaft aufzuräumen, wo Du es doch nicht aushaltest, und wie sei das dann doch fatal für Dich, etwa nach einem Jahre wieder fortzugehen. Und, gründest Du wirklich eine Musikschule, worauf es doch schließlich abgesehen sein muß, weil sonst das Ministerium keine Zuschüsse bewilligt, so hast Du es von zwei Seiten mit Mißgestimmten zu tun, H. und I., hast eine Riesenarbeit, und welchen Dank?
Ich hätte Dich gewiß lieber in Düsseldorf, aber nicht so, wie es da steht. Du hast doch in Wien ein anderes Leben, andere Kräfte, wenn Du sie haben willst, und vor allem freundliches Entgegenkommen. Nein, wahrlich, nimmst Du eine Stellung an, so muß es anders sein, vor allem muß man Dich allgemein willkommen heißen.
Ich war sehr zaghaft seit Wochen schon, hatte dies auf der Seele, und doch wieder die Angst, Dir so entschieden abzureden, ich habe nun aber so viele Unparteiische gesprochen, auch in Leipzig, und alle sind der Meinung, daß Du zu dieser Stellung zu gut seiest, Besseres tun kannst, als Dich dort mit der Gemeinheit herumzuschlagen – diese hatte stets in Düsseldorf ein großes Übergewicht, der Gutgesinnten ist doch nur ein kleiner Kreis.
Morgen A dur-Serenade, – wie freue ich mich darauf! Scholz sagt, sie spielen sie sehr gut.
Addio, lieber Freund. Zürne nicht Deiner
Clara.

[Umschlag]
Herrn
Johannes Brahms.
in
Wien.
IV, Karlsgasse 4.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Breslau
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1340ff.

  Standort/Quelle:*) Umschlag: A-Wst: 55746,47b
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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