23.01.2024

Briefe



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ID: 23163
Geschrieben am: Donnerstag 28.12.1876
 

Berlin, den 28. Dezember 1876.
Mein lieber Johannes,
tausend Dank für Deine liebe Überraschung zum Weihnachtsabend und Deinen Gruß, der uns am 2. Feiertag beim Frühstück traf, also doch noch zum Feste!
Ich bin ganz entzückt von den Stanzen, und haben wir sie die beiden Abende jetzt mit größtem Interesse studiert. Welch eine Pracht muß das sein!
Aber, beschämt fühle ich mich, liebster Johannes, denn ich hatte ja nichts für Dich! Habe mir den Kopf zerbrochen, womit ich Dich erfreuen könnte, fand aber nichts, denn Noten, Bücher, wußte ich nichts von Interesse für Dich, Bilder beschweren Dich nur, und anderes wußte ich erst recht nicht.
So komme ich denn diesmal mit leeren Händen, aber – vollem Herzen, nun, das weißt Du!
Daß Du zu uns kommen würdest, hofften wir wenig, denn wohl konnte ich mir denken, daß Du die Reise nicht zweimal machen würdest, auch nicht Dich die ganze Zeit bis zum 18. Januar hier aufhalten. Nun, vielleicht nächstes Jahr, wo ich eine leise Hoffnung hege, nicht mehr in Berlin zu sein! Wir überlegen jeden Tag, wo wir hinziehen könnten, denn hier bleiben wollen wir nicht, da mir jede künstlerische Tätigkeit abgeschnitten ist, was ich Dir mündlich erklären will. Mir ist auch die große Stadt ganz unerträglich, denn ein gemütlicher Verkehr ist mit niemand möglich. Ach, wäre ich doch nie von Düsseldorf fortgegangen, ich hätte mein Leben dort mit den alten Freunden anders genossen als hier! –
. . . . Jetzt muß ich mich einiger Leipziger Aufträge an Dich entledigen.
Herr und Frau von Herzogenberg lassen durch mich leise, bescheiden anfragen, ob Du bei ihnen wohnen wolltest? Sie meinten, Du seiest, wenn nicht komfortabler, jedoch ruhiger bei ihnen als im Hotel, sie bäten Dich also nicht um ihrethalben, so sehr sie es sich auch wünschten, sondern nur, wenn es Dir auch wirklich selbst lieber wäre.
Die Leute sind beide reizend liebenswürdig, und ungeniert wärest Du da ganz. Dann bittet Raimund Härtel, ihnen den 17. abends zu schenken, wo sie Dir zu Ehren eine Gesellschaft geben wollen. – Sie hatten den naiven Gedanken, ich sollte dann Dir zu Ehren Dein F moll-Quintett (was ich neulich im Quartett mit großem Beifall gespielt) spielen, was ich natürlich sofort abschlug, da es doch eine Lächerlichkeit wäre, spielte ich es, wo der Komponist selbst es tun kann. Das sahen sie natürlich ein, meinten aber, sie hätten gedacht, Du tätest es nicht gern. Es ist nun einmal einstudiert, freilich, Schwung ist in das schwächliche Leipziger Quartett, wie es jetzt ist, nicht zu bringen.
Sagst Du nun „Ja“, so schreibe ich Härtels, denn sie müssen es doch einige Wochen vorher wissen.
Außerdem bitten Herzogenbergs, daß wir den 19. abends bei ihnen ganz allein zubringen möchten, da ist es denn äußerst gemütlich. Ich bitte Dich nun sehr, antworte hierauf sofort, denn sie warten in Leipzig sehnlichst auf Antwort. Hast Du nicht Zeit, so sende Karte oder brieflich nur einige Worte.
Jetzt noch ein glückliches Neujahr von uns dreien – alles Gute für Dich, liebster Freund, von Deiner getreuen
Clara.
Simrocks wollen auch nach Leipzig, das weißt Du wohl.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Berlin
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1344ff.

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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