23.01.2024

Briefe



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ID: 23166
Geschrieben am: Montag 12.02.1877
 

Utrecht, den 12. Februar 1877.
Liebster Johannes,
ich lege diesem Inliegenden, oder vielmehr Inliegendes diesem bei! – Von Avé – was denkst Du darüber? Dank für Deinen Brief, der mich mit Frau Eng am Klavier traf – gerade Deine Händel-Variationen studierend, die sie technisch doch ganz vortrefflich spielt. Wir freuten uns über den zufälligen Gruß! –
Das mit Hanslick ist mir gar zu ärgerlich, aber ich kann nicht anders. Ich kann Dir mein Wort geben, daß wir alle nicht verstanden hatten, das [sic] H. nur über die Jahre in Endenich schreiben wolle, im Gegenteil hatten wir nicht anders gedacht, als daß diese Zeit nur flüchtig berührt, wohl aber die Jahre unmittelbar vorher näher besprochen werden sollten, über die Wasielewski so falsch geschrieben. Briefe aber, die von ihm an mich gerichtet, dazu hergeben, das könnte ich doch unmöglich. Als Du mit mir darüber sprachst, habe ich mir die Wirklichkeit nicht klar gemacht, war von vielerlei anderem benommen, aber jetzt war es in mir gleich entschieden, das konnte nicht sein. Veranlasse doch Hanslick zu einem kleinen Lebensbild Roberts in gesunden Jahren, das kann er ja sehr gut, da er Robert so gut gekannt. Sage ihm, er möge mir verzeihen, sich aber doch in unsere Lage zu versetzen suchen. Es wäre ja unmöglich, solch ’nen Zweck fördern helfen. Wie ich neulich schon sagte: für Ärzte, von einem Arzt geschrieben, kann es von wirklichem Interesse sein, für andere nur von pikantem. Ich wollte, Du fändest oder geständest, daß Du es recht von mir hältst.
Ich sprach auch ’mal mit Bendemann und Engelmann darüber, diese machten aber beide ganz dieselben Bemerkungen, wie ich sie Dir neulich geschrieben.
In Düsseldorf fanden wir eine sehr schöne Wohnung, diese wurde uns aber von Leuten, die die Vorhand hatten, weggenommen, und so habe ich einstweilen! keine Aussicht, und warten wir es ruhig ab, bis sich ’mal etwas Hübsches bietet – Auftrag dazu habe ich gegeben, einstweilen aber überstürze ich es nicht.
Was Du eigentlich nach Düsseldorf antwortetest, schriebst Du mir nicht. Ich bitte Dich aber recht dringend, laß nicht wieder so lange warten dort – das wird Dir mehr übelgenommen als alles andere.
Was ich über die Sinfonie sagen wollte, getraue ich mir eigentlich nicht so recht schriftlich, es ist solch ein Unterschied, ob man etwas spricht oder schreibt. In einem bist Du meinem Wunsche unbewußt entgegengekommen, mit der Umänderung des Adagio. Zwischen dem 1. und letzten Satze bedarf der Geist nach meiner Empfindung etwas der Ruhe, eines Gesanges, wenigstens am Anfange ohne die kunstvolle Umkleidung, die einen zu keinem recht klaren Bewußtsein der Melodie kommen läßt. Im dritten Satz war mir immer der Schluß nicht ganz befriedigend, gar so kurz. Darf ich nun noch etwas über den letzten Satz, oder vielmehr über den allerletzten Schluß (Presto) sagen, so ist es das, daß mir musikalisch das Presto gegen die höchste Begeisterung vorher abfällt. Mir liegt in dem Presto die Steigerung mehr in der äußeren als inneren Bewegung; es kommt mir das Presto nicht wie herausgewachsen aus dem Ganzen vor, sondern als brillanter Schluß hinzugefügt. Nun verzeihe, lieber Johannes, ich kann aber gegen Dich nicht anders als offen sein.
Meine Adresse ist nun vom 17. an: London 14 Hyde Park Gate.
Marie grüßt herzlich – Eugenie ist glücklich in Meran angekommen – ach, ich wollte, wir wären erst wieder beisammen.
In treuer Liebe
Deine
Clara.
Engelmanns grüßen schönstens. Nett ist es hier.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Utrecht
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1354-1357

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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