23.01.2024

Briefe



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ID: 23169
Geschrieben am: Samstag 19.05.1877
 

Berlin, den 19. Mai 1877.
Lieber Johannes,
erst gestern ist es mir gelungen, Herrn Mendelssohn ’mal eine Viertelstunde ruhig zu sprechen. Er hat mir nun gesagt, er sei gern bereit, Dir die Papiere auf die Bank zu besorgen sowie für das Geld von Simrock preußische Staatspapiere anzuschaffen. Er rät sehr zu diesen, wenn Dir auf etwas mehr Zinsen nichts ankommt – sie stehen jetzt 95, geben freilich nur 4 1/4 Zinsen. Die Sache mit der Bank ist einfach. Du bekömmst von derselben einen Schein, den Du unterschreiben mußt, zugleich aber der von Dir Bevollmächtigte, der alle Berichte, Zinsen etc. für Dich in Empfang nimmt, denn nach Österreich hin korrespondieren sie nicht. Wolltest Du nun, so würde Dir Ferdinand, der ungeheuer gewissenhaft ist, das besorgen; er kennt alle die Sachen so genau, daß Du geborgen wärest mit aller Sorge. Ich habe ihn nicht gesprochen, glaube aber sicher, daß er es tut . . . . Schreibe mir nun doch ja bald darüber, da ich nur noch 3 Wochen hier bin und gern Dir alles ordnete.
Jetzt komme ich aber auch mit einer eigenen Angelegenheit, und bitte ich Dich recht sehr um Deinen offenen Rat. Ich sagte Dir, daß Härtels mich neulich fragten, ob ich wohl die Revision der Werke Roberts für später übernehmen würde, ohne jedoch irgendwie weiteres mit mir festzustellen. Nun kommt Novello und bittet mich, eine Revision der Klavierwerke sofort für sie zu machen, und bewilligt mir dafür 1 000 Taler. In der Meinung, daß dies Härtels durchaus keinen Eintrag tun könne, um so weniger, als sie ja erst in 9–12 Jahren die Gesamtausgabe bringen wollten, ging ich auf die Offerte ein, erstens, weil mir wirklich daran lag, daß den furchtbar schlechten englischen Ausgaben gegenüber endlich eine korrekte erschiene, dann auch natürlich, weil doch das Honorar auch keines ist, das man so mir nichts dir nichts von der Hand weist. Nun bekomme ich einige Zeilen von Novello, worin er sagt, er gibt mir die geforderte Summe von 1 000 Taler, verlangt aber das Eigentumsrecht meines Namens für alle Länder.
Darauf nun wollte ich nicht eingehen, ohne Härtels davon zu benachrichtigen, und schrieb an Raimund, ob sie sich nicht mit Novello darüber ins Vernehmen setzen wollten, ich dachte ihn zu vermögen, daß er auf seine Bedingung verzichtet, und einen Teil des mir zugesicherten Honorars dann tragen, wofür sie dann ja die englische Ausgabe (übrigens nur der Klavier-Solo-Werke) zu ihrer Ausgabe benutzen könnten. Darauf bekomme ich beifolgenden Brief von Raimund, und gestern besuchte mich Herr Hase, um mit mir darüber zu sprechen. Er sagt, die englische Ausgabe werde der ihren nicht schaden, aber sie bitten mich, Novello zu vermögen, daß er auf das alleinige Eigentumsrecht verzichte, und es heißen solle, er habe das Recht für alle Länder, aber Härtel ausgenommen, der sich dann in das Recht mit ihm teilen will und, erleide ich dadurch Schaden, mir das vergüten will. Ist es nun aber nicht sonderbar, daß er nicht sagt: „Machen Sie die Ausgabe nur für uns, wir geben Ihnen dasselbe!“ Dann täte ich es doch viel lieber für Härtels! Hase hat aber gar nicht gefragt, was ich bekommen soll, sondern gleich gesagt, daß sie natürlich mit den Engländern nicht Schritt halten könnten, da diese großen Vorteil vor den Deutschen als Verleger voraushätten. Jedenfalls, sagt er, geht Novello darauf ein, so wollen sie sich schon jetzt das Recht für die nicht bei ihnen verlegten Werke erwerben und mit Novello gleichzeitig herausgeben. Geht Novello also darauf ein, daß H. das Recht mit ihnen teilen, so wäre nun wohl alles gut, aber – mein Gefühl!!! Ich disputiere mit Marie hin und her und muß ihr ja darin, daß sie sagt, Härtels (überhaupt die deutschen Verleger) seien niemals honett gegen mich gewesen, recht geben, auch jetzt sind sie es nicht, denn sie könnten, wenn sie schon ’mal eine so kostspielige Ausgabe machen, auch 1 000 Taler mehr daranwenden, und mich veranlassen, es nur für sie zu machen, und wahr ist’s, daß ich, folgte ich meinem Gefühl (die Sache nur für einen deutschen Verleger zu machen), einen großen Verlust hätte, den ich, trotzdem ich ja nicht unbemittelt bin, nicht leicht trüge, da ich doch auf jährlichen Verdienst noch angewiesen bin. Was soll ich nun tun? Habe ich Verpflichtungen gegen Härtels? Neulich haben wir viel aus alten Briefen gelesen (an Robert) und die von Härtels gefunden, wo sie ihn abscheulich drücken in Kleinigkeiten. Darüber ist nun Marie ganz außer sich und sagt, es sei geradezu unbegreiflich, wenn ich solche Rücksicht nehmen wolle. (Es war ganz eigentümlich, daß Hase, obgleich ich ihm sagte, hätte ich gewußt, daß sie jetzt schon an die Gesamtausgabe gehen wollten, so hätte ich die Revisionen so viel lieber für sie gemacht, doch keine Schritte dazu machte, im Gegenteil abredete, als wenn sie Angst vor zu großer Ausgabe hätten.) Ich weiß mir keinen Rat und bin ganz aufgeregt; Joachim könnte ich wohl fragen, aber ich habe doch nicht so das Zutrauen wie zu Dir.
Ich bitte Dich nun recht dringend, schreibe mir gleich darüber, denn Novello wartet auf Antwort, Härtels ebenso, und ich schwebe in fortwährendem Kampfe zwischen Gefühl und Pflicht.
Der Besuch von Herzogenbergs war reizend, und es freute mich so sehr, ihnen anzufühlen, wie gern sie auch bei uns waren; sie entschlossen sich augenscheinlich schwer zum Fortgehen.
Felix ist nun in Zürich und hat zur Philologie umgesattelt, was mir sehr lieb ist, denn wie kann man wünschen, daß einer einen Lebenslauf erwählt, dem er nicht die ganze Hingabe entgegenträgt! Zu Jura hat er gar kein Talent, das wußte ich ja längst.
Stockhausens taufen morgen, – sie hätten Dich so gern dabei gehabt, ich begreife aber, daß Du darum nicht so eine Reise machst! –
Ich bleibe bis 17. – 18. Juni hier, dann gehe ich für 3 Wochen nach Kiel. Was unternimmst Du? Gehst Du bald nach Ruschlikon? Ich denke, wir sehen uns da (in Zürich) wohl jedenfalls, hoffe es sehr. Und nun, adieu für heute! – Entschuldige die sehr eilige Schrift, aber ich bin ganz enorm in Anspruch genommen wieder, besonders auch durch Schüler, so daß ich kaum das Nötigste erzwinge.
Hab’ Dank im voraus, und sei von Herzen gegrüßt auch von Marie. Eugenie ist noch in Meran und sehr wohl.
Deine
alte
Clara.
Schicke mir Härtels Brief zurück.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Berlin
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1366-1369

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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