23.01.2024

Briefe



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ID: 23226
Geschrieben am: Dienstag 16.07.1878
 

Wildbad-Gastein (bei Moser), den 16. Juli 1878.
Lieber Johannes,
Du hast indes meinen Brief erhalten – ich will aber auf Deinen gestrigen doch noch gleich meinen Dank, vor allem auch für die gütige Einladung von Kupelwiesers, sagen. Erst dachte ich, das ist ja prächtig, nachher kam aber die Überlegung! Wie ich Dir schon in meinem ersten Briefe schrieb, es ist mir doch eine zu weite Reise. Hab’ Dank für Deine Bemühungen deshalb, und sage ja recht ordentlich solchen an Kupelwiesers. Sage ihnen, die Reise sei mir doch zu weit und anstrengend. Ich habe ja nun die freudige Aussicht, Dich hier zu sehen und mit Dir eine kleine Tour zu machen – oder ist es eine große? Wir studieren alle Tage Bädecker, können aber nichts herausfinden, wie und durch welche Orte man von Lend aus die Tour nach dem Ampezzo-Tal macht – vielleicht weißt Du Genaueres? Eines muß ich Dir nun aber noch im voraus sagen, das ist, daß wir beide wenig gehen können, mehr wie 1 1/2 Stunde täglich kaum, ist es da nun geraten, solch ’ne Tour zu unternehmen? Sind da gefährliche Chausseen? Viel an Abhängen hin?
Es hat sich nun so ziemlich entschieden, daß wir bis zum 1. August hier bleiben, Du erfährst aber noch Genaueres.
Nota bene. Der C-Schlüssel soll Dich nicht hindern, mir das kleine Stück zu schicken – mich hindert er sicherlich nicht, es mir genau zu besehen! –
Die Lieder sende ich Dir und muß Dir sagen, daß mir die zwei von Heine immer lieber geworden sind – sie sind so recht zum Träumen, eigentlich nur für die Sänger und Spieler selbst. – In dem „Todessehnen“ ist eine Stelle, die für den, der nicht die harmonische Folge des nächsten Taktes schon voraussieht, furchtbar schwer zu treffen, weil das Klavier einen Ton tiefer einsetzt als die Singstimme – da die meisten Sänger doch so musikalisch nicht sind, so wäre es doch vielleicht besser zu ändern, indem das Klavier mit derselben Note his einsetzt. Du findest an der Stelle ein ?. Livia hat es viele Male gesungen und nach großer Mühe erst getroffen, und eigentlich singt sie gut vom Blatt. – In dem zweiten Frühlingslied ist mir im 7. Takt die Stimmführung von cis zu B recht auffällig, es scheint mir doch gar zu wenig gesanglich – wenn Du nun gleich nach cis d nähmest, oder sonst anders, wäre das nicht besser? Wie herrlich ist in dem Lied der Rückgang aus dem G moll, und vorher in das G moll! – Das Duett habe ich mir nach Deinem Briefe noch mehrmals durchgespielt, muß aber bei meiner Meinung bleiben – was dem Publikum sogleich gefällt, ist doch für Dich und Deine musikalischen Freunde nicht maßgebend! „Edward“ ist, abgesehen davon, daß es auf jeden Musik empfindenden Menschen einen wahrhaft erschütternden Eindruck machen muß, ein solches Meisterstück als Musik, daß es ein Verbrechen an Dir selbst wäre, gäbest Du es nicht heraus. Singen es die Sänger nicht, so liegt es daran, daß es wenig Sänger gibt, die so etwas singen können. Das Stück wird kein großes, aber ein begeistertes Publikum haben.
Und nun laß bald von Dir hören. Ist Dir meine Antwort eine Täuschung, so weißt Du, daß sie mir nicht leicht ward.
Sei herzlichst gegrüßt und gedankt von Deiner
Clara.
Die Lieder gehen morgen ab.
Marie grüßt schönstens – sie freut sich mit mir auf unsere gemeinschaftliche Tour, wenn es nur mit uns geht?

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Wildbad Gastein
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Pörtschach
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1461-1464

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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