23.01.2024

Briefe



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ID: 23229
Geschrieben am: Dienstag 17.09.1878
 

Frankfurt, den 17. September 1878.
Lieber Johannes,
das war allerdings eine lange Pause, ach aber was für eine Zeit habe ich erlebt, und wie steht es noch jetzt so traurig! Ich bin fast wie gelähmt, bringe kaum das Nötigste zustande, und stecke dabei in einer Arbeit, die unglaublich ist. Also denke, kaum wenige Tage in München, bekam ich eine Neuralgie im Arme, die so entsetzlich war, daß ich kein Glied des Armes zu rühren vermochte, dazu die wahnsinnigsten Schmerzen Tag und Nacht, und diese währten volle 3 Wochen und waren schließlich nur mit Morphium zu besänftigen. Zu diesen Körperschmerzen kamen nun die grausamsten Seelenleiden, die eine Mutter haben kann. Gleich den 2. Tag in München erhielten wir die Nachricht von Marmorito, daß Felix so elend sei, daß er nicht mehr allein bleiben dürfe, ich telegraphierte sofort, er solle nach München kommen, war aber so erschüttert, daß ich umherging wie betäubt. Das hat wohl auch meine Schmerzen im Arm so erhöht. Felix kam endlich nach vielem Hin- und Herschreiben, und wie sah ich ihn wieder – ach, es war herzzerreißend. Wie ein alter Mann schlich er und konnte nicht zu Atem kommen, dabei hustete er von morgens bis abends, fand nachts nur vermittels Chloral etc. einige Stunden Ruhe, und so in diesem Zustand brachten wir ihn nach Baden. Dort erholte er sich ein wenig, und nach etwa 8 Tagen wurde mein Arm auch so viel besser, daß ich wagen konnte, ihn ’mal mit Spielen zu versuchen – wir wohnten im Bären, es war aber eine schreckliche Zeit, und der Kummer machte mich so elend, daß die Kinder in mich drangen, einige Tage nach Büdesheim zu gehen, was ich dann schließlich auch tat, denn ich fühlte mich zu schlecht. Marie ging nach Frankfurt, wo es furchtbar zu tun gab, sie kam aber zum 13. hinaus, und so hatte ich wenigstens den Trost ihrer Nähe, aber einen traurigen Geburtstag, denn Eugenie war mit Felix nach Falkenstein gegangen – eine Anstalt für Lungenkranke, die eine Stunde von hier und vortrefflich sein soll. Er wollte so gern zu uns, das wollten wir auch, aber in ein noch nicht eingerichtetes Haus, ohne Dienstleute etc. konnten wir ihn nicht nehmen, und so bat ich ihn, einstweilen nach Falkenstein zu gehen. In Baden wurde es zu kalt. Dort scheint manches für ihn doch recht angenehm zu sein – man kann ja eben nur auf Erleichterung für ihn sinnen, denn Hoffnung habe ich keine mehr, eine Lunge ist ganz unbrauchbar geworden, die andere schon sehr angegriffen. Solch ein Anfang an einem neuen Wohnort und neuen Wirkungskreis – wie schwer ist das! –
Ich freute mich aber herzlich, unter den Briefen, welche mir Marie nach Büdesheim brachte, auch von Dir einen Gruß zu finden. Eine freudige Botschaft kam mir noch von Neuyork, wo ein Knabe angekommen und alles gut geht laut Telegramm. Weiteres hören wir nun freilich erst in 10–12 Tagen – das ist schrecklich! –
Seit einigen Tagen bin ich hier, aber im Hotel, ins Haus können wir nicht vor Ende Monats, wenigstens nicht dort schlafen; ich habe aber diese Tage dort, in meinem reizenden Zimmer, geübt für Hamburg, mußte mir auch die Kadenzen noch zurechtmachen, was mir schrecklich sauer wurde, weil ich so schwer in die Stimmung kommen konnte. Ich habe ein paar Stellen von Dir benutzt, das durfte ich doch?
Die Stücke laß mir doch noch, bitte, – ich konnte ja all die Zeit nicht spielen, und kann sie erst studieren, wenn ich zurückkehre. –
Was Du mir von Hanslick schreibst, erstaunt mich – haben sie ihn eingeladen, und Dich nicht mehr? Das ist doch unglaublich.
Ich habe viel Schmerzen in beiden Armen und weiß noch kaum, wie ich in Hamburg spielen soll! Aber gerade bei dieser Gelegenheit abzuschreiben, dazu entschlösse ich mich nur, wenn’s unmöglich anders wäre. Daß ich aber nicht in der Stimmung bin, begreifst Du, mein Herz ist ganz gebeugt wie in den schwersten Tagen meines Lebens; alt und gesund selbst, das Leben eines Kindes, eines Jünglings in der Blüte der Jahre hinschwinden zu sehen, das gehört wohl zu den grausamsten Prüfungen für ein Mutterherz, und diese Prüfung ist mir nun mit dem dritten Kinde auferlegt. Ich trüge es auch nicht, hielte mich nicht die Liebe zu den andern Kindern noch aufrecht, und so gebe der Himmel mir weiter Kraft, indem er mir diese erhält.
Ich schreibe so viel von uns, aber ich habe kaum einen andern Gedanken, als den einen schweren, der alle andern in den Hintergrund drängt.
Joachim hat mir von Deinem schönen Konzerte geschrieben, er ist ganz entzückt davon, es sei aber sehr schwer. Wie bin ich begierig darauf, aber nach Leipzig komme ich jetzt nicht mehr so leicht wie früher!
Leb’ wohl! Laß bald ein Trosteswort hören Deine
alte
Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Frankfurt am Main
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Pörtschach
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1465-1468

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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