23.01.2024

Briefe



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ID: 23238
Geschrieben am: Montag 05.05.1879
 

Frankfurt a. M., den 5. Mai 1879.
Lieber Johannes,
heute nur einen Geburtstaggruß, den herzlichsten. Wieder ’mal ist er da, der Tag, der Dich der Welt schenkte, und herrlich haben sich bisher alle guten Wünsche erfüllt! Jedes Jahr ist für Dich schöner geworden, fruchtreich an großen Schöpfungen, reich an Anerkennung, Ehren, Gold und was mehr!
Nur der Frühling zögert dies Jahr ungebührlich lange, und er müßte zum 7. Mai doch immer in vollster Pracht stehen! Welch ein Glück, daß Du nicht nach Italien bist, das wäre entsetzlich! Die Klagen von dort laufen allenthalben ein – wie wäre Dir der vorjährige Eindruck getrübt worden.
Herrlich muß ja der Festzug gewesen sein, hätte man das doch mit ansehen können! Wo nur die Menschen in solcher Zeit wie jetzt das Geld zum Pläsier hernehmen.
. . . . Überrascht war ich, daß man Dir die Leipziger Kantorstelle angeboten. Du schreibst aber gar nicht, als hättest Du irgend Lust. Sprich Dich nur ja klar darüber aus, wenn Du antwortest, halte die Leute nicht hin.
. . . . Dir würde ich gar nicht zureden. Leipzig ist nicht mehr, was es war.
Scholz war einen Tag hier, er grüßt Dich sehr.
Die Gedichte schicke ich Dir mit den Noten, wo ich auch Briefe von Härtel beilege. Ach, mit tiefen Seufzern denke ich immer an diese Sache. Ich denke, Ende der Woche geht einiges ab an Dich – Härtels schickten mir heute eine Menge Lieder (alte Ausgabe), die wir doch jetzt gar nicht brauchen können.
Doch für heute Lebewohl! Feiere den schönen Tag so heiter wie möglich, dazu werden Fabers gewiß nicht am wenigstens helfen. Ich kann ja leider nur herzliche Gedanken zu Dir hinsenden!
In alter Gesinnung
Deine
Clara.
Die Kinder schicken ihre schönsten Wünsche, es geht ihnen gut, und bei mir hält auch die bessere Stimmung nach; oft fühle ich die Wolken an mein Gemüt heranziehen, aber sie entladen sich nicht – ich wehre standhaft ab. Prinzeß Friederike wollte Dir auch sehr empfohlen sein. Die Stunden sind wirklich Qualen, ich dulde sie aber standhaft, denn ihr sind sie Freude, und vielleicht gehören sie zu den wenigen Freuden, die sie noch hat! Es sind so arme verwitterte Prinzessinnen, aber von Herzen sehr gut.
Frau Fritsch wirst Du wohl dieser Tage sehen – sie war sehr eifrige Schülerin, ich glaube auch, daß sie einiges profitiert hat. Ein Abend bei den Ihrigen hier war sehr nett. Mit Leipzig das geht mir im Kopf herum! Ich finde die Stellung nur in der Illusion lockend, sonst nicht. Um Wien zu verlassen, müßte sie anders sein – meinst Du nicht auch? Du müßtest die Konzerte dabei haben, es sind aber zu viele, das hättest Du bald überdrüssig! Sag’ mir ja, was Du in der Sache tust, und nun wirklich Adieu! –

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Frankfurt am Main
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1503ff.

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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